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Der Rubin im Rauch

Der Rubin im Rauch

Titel: Der Rubin im Rauch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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„Rühren Sie sich nicht, sonst werfen Sie was um.
Stören Sie sich nicht an dem Geruch."
Sie tat wie geheißen, er ließ die Plane fallen und schnürte sie zu.
Der Geruch war durchdringend -- so ähnlich wie Riechsalz. Es war
vollkommen dunkel.
„Keinen Ton", sagte er ruhig. „Ich sag Ihnen, wenn sie weg ist. Da
kommt sie tatsächlich. Sie überquert die Straße und geht auf uns zu."
Sally stand regungslos, horchte auf das Kreischen der Seemöwen,
auf Pferdegetrappel und die rollenden Räder eines Fuhrwerks und
dann das harte, rasche Auftreten genagelter Stiefel. Etwa einen Meter
entfernt blieben sie stehen. „Entschuldigen Sie, Sir", sagte eine
Stimme, eine alte Stimme, die eigenartig keuchte und rasselte.
„Ja? Was gibt's?" Garlands Stimme klang gedämpft. „Einen
Augenblick. Ich komponiere gerade ein Bild. Muß unter dem Tuch
bleiben, bis es fertig ist... so", kam es etwas klarer. „Was kann ich für
Sie tun, Ma'am?"
„Harn Se 'n junges Mädchen hier vorbeikommen sehn, Sir?
Schwarz angezogen?"
„Ja, hab ich. Hat's unheimlich eilig gehabt. Außergewöhnlich
hübsches Mädchen -- blond -- kann's die gewesen sein?"
„Hätt mir denken können, daß 'n fescher Herr wie Sie so was
bemerkt, Sir. Ja, das ist sie, hol sie der Kuckuck. In welcher Richtung
ist sie denn gegangen?"
„Übrigens hat sie mich nach dem Weg zum ,Schwanen' gefragt. Hat
gesagt, sie wolle die Ramsgate Kutsche erreichen. Hab ihr gesagt, daß
sie noch zehn Minuten Zeit dazu hat."
„Der ,Schwanen', Sir? Wo könnte das sein?"
Er erklärte ihr den Weg, und die alte Frau bedankte sich und machte
sich auf den Weg.
„Nicht bewegen", sagte er leise. „Sie ist noch nicht um die Ecke.
Tut mir leid, aber Sie müssen's noch 'n bißchen in dem Gestank
aushaken."
„Danke", sagte sie förmlich. „Übrigens hätten Sie mir nicht zu
schmeicheln brauchen."
„Ach du liebes bißchen. Gut, ich nehm's zurück. Sie sind fast so
häßlich wie sie. Was soll denn eigentlich das Ganze?"
„Ich weiß es auch nicht. Ich bin da in was Schreckliches
hineingezogen worden, ich kann Ihnen nicht sagen, worum es geht - "
„Schsch!"
Schritte kamen langsam näher, gingen am Zelt vorbei und
verhallten.
„Dicker Mann mit Hund, ist wieder weg jetzt."
„Ist sie außer Sichtweite?"
„Ja, sie ist weg. Nach Ramsgate, wenn wir Glück haben."
„Kann ich rauskommen?"
Er schnürte die Plane auf und hielt sie hoch.
„Danke. Was bin ich Ihnen für die Benutzung des Zelts schuldig?"
fragte sie.
Er riß erstaunt die Augen auf. Einen Moment lang glaubte sie, er
würde anfangen zu lachen, aber er lehnte nur höflich ab. Sie spürte,
wie sie errötete, sie hätte kein Geld anbieten sollen. Rasch wandte sie
sich ab.
„Warten Sie doch. Ich weiß noch nicht mal Ihren Namen. Die Art
von Bezahlung verlange ic h."
„Sally Lockhart", antwortete sie und starrte aufs Meer hinaus. „Es
tut mir leid, ich wollte Sie nicht beleidigen. Aber - "
„Ich fühle mich überhaupt nicht beleidigt. Aber schließlich kann
man nicht alles mit Geld machen. Was haben Sie jetzt vor?"
Sie kam sich sehr kindisch vor, ein Gefühl, das ihr nicht behagte.
„Ich fahre nach London zurück", antwortete sie. „Ich glaube, daß
ich ihr ausweichen kann. Auf Wiedersehn."
„Soll ich Sie begleiten? Ich bin hier sowieso fast fertig, und wenn
die alte Hexe gefährlich ist - "
„Nein, danke. Ich muß jetzt gehen."
Sie machte sich auf den Weg. Liebend gern wäre sie von ihm
begleitet worden, doch das hätte sie sich nie eingestanden. Sie spürte
irgendwie, daß gespielte Hilflosigkeit, die bei anderen Männern so gut
ankam, bei ihm ihre Wirkung verfehlen würde. Deshalb hatte sie
Bezahlung angeboten: sie wollte ihm als ebenbürtiger Partner
gegenüberstehen. Aber das war auch danebengegangen. Sie kam sich
völlig unwissend vor und meinte, nichts richtig tun zu können, und
fühlte sich sehr einsam.
DIE MEUTEREI
    Am Bahnhof war keine Spur von der alten Frau zu sehen. Die
einzigen anderen Passagiere bestanden aus einem Pfarrer und seiner
Frau, ein paar Soldaten und einer Mutter mit zwei Kindern. Sally fand
ohne Schwierigkeit ein leeres Abteil. Sie wartete, bis der Zug aus dem
Bahnhof dampfte, ehe sie das Päckchen öffnete. Die Knoten waren
gründlich in Siegellack getaucht worden, und sie brach sich einen
Fingernagel, als sie versuchte, ihn wegzukratzen.
    Schließlich gelang es ihr, das Päckchen zu öffnen, und sie entdeckte
ein Buch.
Es sah aus wie eine Art Tagebuch. Es war ziemlich

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