Der Ruf der Finsternis - Algarad 2
keine Anzeichen dafür gefunden, dass er getötet wurde«, sagte Dualar, »auch seine alte Hütte steht noch unversehrt.«
»So hört, was wir zu berichten haben«, eröffnete Ibik. »Wir haben hier ein halbes Dutzend erkalteter Feuerstellen vorgefunden, was darauf schließen lässt, dass sich Leute hier aufgehalten haben, schätzungsweise fünfzig an der Zahl. Es waren sicher keine Gredows, denn die hätten andere Spuren hinterlassen.Wir glauben stattdessen, dass es die Bewohner Esgalins waren, die hier Zuflucht suchten. Und wir haben das hier gefunden.« Er hielt Dualar einen alten Lederbeutel hin, auf dem ein stilisierter Regentropfen eingebrannt war.
Tenan stieß einen Ruf des Erstaunens aus. »Das ist das Zeichen der Comori! Dieser Beutel gehört Osyn!« Er riss Ibik den Beutel aus den Händen und blickte hinein. Es befanden sich ein paar getrocknete Wurzeln darin, die Osyn stets bei sich geführt hatte, und ein silberner Schlüssel, mit dem sein Meister magische Utensilien unzugänglich aufbewahrte. Der Fund ließ Tenans Hoffnung wachsen, dass sein Meister noch am Leben war.
»Alles spricht dafür, dass die Höhlen schon vor einiger Zeit verlassen worden sind«, berichtete Lord Ibik weiter. »Wahrscheinlich sind die Flüchtlinge an einen anderen Ort weitergezogen.«
»Sollten wir nicht sie suchen gehen?«, fragte Tenan aufgeregt. Ein leises Lächeln huschte über Dualars Gesicht. »Wie ich dich kenne, wirst du nicht ruhen, bis wir herausgefunden haben, was mit den Bewohnern Esgalins geschehen ist«, sagte er. Tenans Züge hellten sich auf.
»So sei es denn – wir werden uns auf die Suche nach ihnen machen! Du kennst dich hier aus, Tenan, in welches Versteck würden sich die Bewohner Esgalins wohl als Nächstes zurückziehen?«
»Das ist schwer zu sagen.« Tenan dachte angestrengt nach. »Da die Gredows das ganze Land durchstreifen, können sie keine weiten Strecken zurückgelegt haben. Es gibt ein Gebiet mit tiefen, unwegsamen Schluchten, die zwei Flüsse und deren Ausläufer in die Flanken des Murenbergs gegraben haben. Ein Abstieg zwischen den Felsen ist gefährlich, dennoch ist es gutmöglich, dass die Bewohner von Esgalin dorthin geflohen sind.«
»Wie weit ist es bis dorthin?«, fragte Dualar.
»Etwa zwei Tagesmärsche. Der Murenberg liegt nicht weit entfernt von Eisgarth, wo das Heer sein Lager errichten wollte.«
Dualar hörte dies mit Befriedigung. »Gut. Du, Tenan, wirst uns dorthin geleiten.«
Nach einer kurzen, leidlich erholsamen Nacht brachen sie am nächsten Morgen bereits vor Sonnenaufgang auf. Der Weg durch den Wald von Rhun gestaltete sich schwieriger, als Tenan gedacht hatte. Weil er die Straße vermeiden wollte, die viele Kehrungen und Umwege machte, führte er ihren kleinen Trupp direkt durchs Unterholz, durch das sie sich schon bald mit ihren Schwertern hindurchkämpfen mussten – Brombeerranken und andere Pflanzen behinderten das Fortkommen. Zusätzlich erschwert wurde ihr Weg durch das Fehlen eines Orientierungspunktes. Selbst wenn die Sonne geschienen hätte, wäre sie nicht zu sehen gewesen, denn die meisten Bäume trugen noch ihr herbstlich buntes Laub, das so dicht war, dass kein Stück des Himmels hindurchschimmerte. So musste sich Tenan auf seine Erinnerung verlassen und auf seinen Instinkt. Das Knacken und Krachen der Zweige und Äste unter ihren Füßen hallte durch den Wald.
»Es würde mich nicht wundern, wenn bei diesem Lärm sämtliche Gredows auf uns aufmerksam würden«, murrte Ibik. »Da helfen uns auch die matrall nicht viel; sollen wir sie nicht gleich ganz ablegen?«
»Still, Lord Ibik«, mahnte Dualar. »Habt Ihr eine bessere Idee? Sonst erspart uns Euren Missmut, bis wir den Murenberg erreicht haben.«
Schweigend, doch geräuschvoll stapften sie weiter durch das Dickicht.
Mit der Zeit veränderte sich das Gelände, das dichte Gestrüpp wich einem steinigen Untergrund, der Boden fiel in einer leichten Schräge ab, und die Bäume standen in größerem Abstand zueinander. Erleichtert stellte Tenan fest, dass sie sich auf dem richtigen Weg befanden. »Wir nähern uns den ersten Ausläufern des Murenbergs«, sagte er leise zu Dualar.
Dem schwindenden Licht nach zu urteilen war es später Nachmittag, als sie an einem abschüssigen Hang haltmachten. An seinem Rand erhoben sich hohe Prek-Bäume, deren kräftige, armdicke Wurzeln sich in ausladenden Bögen in die Luft schwangen. Einige dieser Wurzeln bildeten eine Wölbung, unter der die Gruppe sich niederließ
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