Der Ruf der Finsternis - Algarad 2
ihn nicht so lange warten wie sonst; schemenhaft tauchten die Umrisse seiner Gestalt aus dem Nichts auf, bis er sich schließlich gänzlich manifestierte. Seine Züge waren unter der weiten grauen Kapuze seines Umhangs wie üblich nicht zu erkennen, und lediglich die schmalen, knochigen Hände ließen darauf schließen, dass sich ein Körper darin befand.
»Erhebt Euch, Admiral.« Die Stimme, kaum mehr als ein Flüstern, zischte wie eine giftige Natter. Sie war von so viel Bosheit erfüllt, dass selbst Drynn Dur jedes Mal von neuem zusammenzuckte, wenn er sie vernahm. Der Gredow richtete sich auf, wobei er es vermied, seinen Herrn und Meister direkt anzublicken, obwohl die Botschaft, die er ihm überbringen konnte, zu seiner Zufriedenheit ausfallen würde.
»Heute habe ich gute Nachricht, mein Meister«, begann Drynn Dur vorsichtig. »Meine Truppen konnten die Festung Garadin ohne Verluste einnehmen. Die Schriften der Dan befinden sich in unserem Besitz und werden zurzeit auf die Acheron verladen. Es sind tausende von Büchern und Schriftrollen, und es wird noch eine Weile dauern, bis sie alle an Bord sind.«
Er hielt inne und wartete auf die Antwort des Todesfürsten.
Achest nickte zufrieden. »Das ist die beste Botschaft seit Langem. Nun habe ich einen neuen Trumpf in der Hand, den ich gegen die Dan ausspielen kann: Bald bin ich im Besitz ihres magischen Wissens und werde sie mit ihren eigenen Zaubern zugrunde richten.«
»Es gibt nur ein Hindernis ...« Drynn Dur stockte.
Achest blieb reglos. »Ich höre?«
»Sämtliche Schriften sind mit einem Siegel versehen. Sie lassen sich nicht öffnen. Wenn man es dennoch versucht, schlagen Blitze daraus hervor, die mitunter vielleicht sogar tödlich sein können.«
Das Lachen des Todesfürsten klang trocken wie knisternde Blätter. »Mit Siegeln dieser Art habe ich Erfahrung, selbst der Meledos konnte sein Geheimnis nicht vor mir verbergen. Bringt die Schriften nur schnell zu mir nach Nagatha, dann werde ich mich um alles Weitere kümmern.«
»Wie steht es in Gondun?«, erkundigte sich Drynn Dur, der schon länger nichts mehr vom Fortgang der Kämpfe dort gehört hatte.
»Die Flotte der Dan ist im Begriff, die Insel zu befreien«, teilte ihm sein Herr und Meister mit. »Doch die Anzahl ihrer Schiffe und Soldaten wird nicht ausreichen, wenn sie danach in die Schlacht gegen Nagatha ziehen, denn schon bald werden sie an vielen Fronten in Algarad kämpfen müssen. Sie ahnen nicht, wie viele Schiffe uns tatsächlich zur Verfügung stehen. Ihr Reich ist schlecht geschützt, und genau das wird ihnen nun zum Verhängnis werden. Sobald die Heerführer der Dan über ihre magischen Spiegel erfahren, dass die großen Städte und Häfen Algarads in Gefahr sind, werden sie ihreStrategie ändern müssen und den bedrohten Inseln zu Hilfe eilen.«
»Glaubt Ihr, sie werden tatsächlich einen Teil ihrer Flotte zurückschicken?«
»Sie müssen es, das gebietet ihr Eid!«, erwiderte Achest. »Wenn sie es nicht tun, verraten sie ihre Grundsätze und alles, wofür sie einstehen.«
Drynn Dur nickte. Die Weisheit und Voraussicht des Todesfürsten beeindruckte ihn stets aufs Neue. Er bleckte die Zähne zu einem gehässigen Grinsen. »Sie werden Nagatha mit einer reduzierten Streitmacht angreifen, und ihr verzweifelter Angriff wird an den Mauern der Festung zerschellen!«
»Das wird er zweifellos! Dennoch benötige ich eiligst die Schriften der Dan und auch Eure Dienste als Heerführer in der Schlacht. Kehrt deshalb unverzüglich nach Caithas Dun zurück.«
»Habt Dank für Euer Vertrauen!«, sagte Drynn Dur mit einer tiefen Verneigung. »Ich werde aufbrechen, Meister, nachdem ich Garadin auf den Grund des Meeres versenkt habe.«
»So sei es. Das Schicksal der Dan wird bald vollendet sein.« Achest vollführte eine segnende Geste mit der Hand und entließ Drynn Dur aus der Unterredung. Der Cerele veränderte seine Struktur und verdunkelte sich, bis seine metallene Oberfläche nur noch die Kajüte des Admirals widerspiegelte.
Drynn Dur entspannte sich und erhob sich aus der knienden Position, die er die ganze Zeit über beibehalten hatte. Die Präsenz des Todesfürsten versetzte ihn immer wieder in höchste Nervosität, denn trotz der guten Nachrichten konnte man nie vorhersehen, wie Achest reagieren würde.
Drynn Dur verhüllte den Spiegel mit einem schweren Tuch und trat dann an die großen Spitzfenster am Heck und blickteauf die hohen, geschwungenen Außenmauern Garadins, die
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