Der Ruf der Finsternis - Algarad 2
erstreckte. Wie Mandik vorhergesagt hatte, erreichten sie die Klippen der südlichen Gestade Gonduns am frühen Abend. Die kläglichen Überbleibsel des Ydrai, der sich in viele kleine Bäche und Rinnsale verlaufen hatte,rieselten von hier aus in einem breiten Vorhang aus Wasser über die Felsenkanten und vermischten sich mit dem Meer, das an die Küste brandete.
Die Klippen boten einen weiten Blick über die Südküste der Insel. Die Bucht von Leremonth lag etwa eine Meile östlich von Tenans Aussichtspunkt, geschützt von einem mit Pinien bewachsenen Landstreifen, der die Sicht in die Bucht behinderte. Nur die Masten eines Schiffs ragten hoch über die Wipfel hinaus – ohne Zweifel lag dahinter der Dronth-Brecher der Gredows vor Anker.
Tenan war erleichtert, dass der Weg bisher ohne Zwischenfälle verlaufen war. Obwohl die Armee der Dan-Ritter noch weit entfernt sein musste, spähte er über das hinter ihnen liegende Marschland, in der Hoffnung, dennoch ein Anzeichen vom Nahen des Heeres zu entdecken, doch soweit sein Auge reichte, war nichts anderes zu sehen als die triste Einöde.
Mandik sandte Späher aus, die die Umgebung und den Stützpunkt der Gredows in der Bucht erkunden sollten, um die Anzahl der Krieger einschätzen zu können und die besten Angriffspunkte ausfindig zu machen. Die übrigen Fairin errichteten ein Lager im Schatten einer Felskante, die am Rande der Steilküste aufragte und Schutz vor dem eisigen Wind bot, der ungebremst über die Ebene hinwegfegte.
»Von hier aus kann man weit ins Hinterland und bis zum Wald von Rhun blicken«, sagte Mandik und machte eine ausholende Handbewegung. »Sobald sich das Heer der Dan nähert, werden wir es wissen.«
»Das dürfte selbst den Fairin schwerfallen«, widersprach Tenan und erklärte: »Die Krieger tragen matrall-Umhänge und sind unsichtbar.«
»Du musst die Signale der Natur lesen, dann wird dir nichtsverborgen bleiben«, belehrte ihn Mandik. »Das Aufflattern eines Reihers, das plötzliche Schimpfen eines Vogels im Nest, das Knicken eines Zweigs, ein fliehendes Reh – all das sind Zeichen, aus denen die Fairin lesen können. Aus dem Muster der verschiedenen Erscheinungen können wir sogar die Größe des Heeres bestimmen und die Richtung, in die es vorstößt.«
»Jaja!«, stimmte Urisk ein. »Die Fairin wissen weit mehr, als man ihnen zutraut! Sie leben im Einklang mit Pflanzen und Tieren und stehen ihnen näher, als das Volk der Menschen es je tun wird!«
Tenan war beeindruckt, aber er wollte abwarten, ob diese vollmundigen Worte auch der Wirklichkeit entsprachen. Alle waren von den Strapazen des Weges erschöpft, hungrig und durchgefroren, aber sie wagten nicht, ein Feuer zu entzünden, und so hüllten sie sich in dicke Tierfelle und Decken und warteten.
Als die Späher zurückkehrten, berichteten sie von einigen wenigen umherstreifenden Gredow-Soldaten, die den Umkreis der Bucht kontrollierten. Offenbar fühlten sie sich sicher und erwarteten keinen Angriff, hatten den Aufbruch des Dan-Heeres aus Eisgarth also nicht bemerkt. Obwohl keine unmittelbare Gefahr drohte, ließ Mandik das Lager weiträumig von seinen eigenen Kriegern absichern.
Die Zeit des Wartens auf die Truppen der Dan vertrieb sich Tenan mit Streifzügen durch die Umgebung. Um vor den Augen des Feindes weitgehend verborgen zu bleiben, hatte auch er von den Fairin ein Wams aus Binsen und getrockneten Blättern erhalten, das bei jeder seiner Bewegungen knisterte. Es tat seinen Zweck vortrefflich: Vor dem Hintergrund der gelbbraunen Landschaft war er nahezu unsichtbar, selbst einem Gredow würde es schwerfallen, ihn zu entdecken.
Wie er so am Rande der Steilklippen entlanglief, musste er unwillkürlich an seine endlosen Wanderungen mit Amris denken, die sie an den Stränden rund um Esgalin und den Bugfels geführt hatten. Er blieb auf einem Felsvorsprung stehen und blickte hinaus aufs Meer, wie damals auf den Drei Klippen, wenn er und Amris sehnsüchtig den Schiffen aus Dorlin nachgeschaut hatten. Wie es seinem Freund in Meledin wohl ergehen mochte? Beim Gedanken an ihn überkam Tenan plötzlich ein ungutes Gefühl, eine unbestimmte Angst bemächtigte sich seiner. War es eine Vorausahnung kommenden Unheils? Unwirsch schüttelte er den Kopf und versuchte, sich selbst zu beruhigen. Amris befand sich in Meledin in Sicherheit, Angriffe der Gredows waren dort nicht zu erwarten, was sollte also Schlimmes geschehen? Doch musste Tenan an den Traum mit der schwarzen Wolke denken,
Weitere Kostenlose Bücher