Der Ruf der Finsternis - Algarad 2
erbitterte Feinde in die Augen starrten und schließlich voneinander abwendeten, um wütend in verschiedene Richtungen davonzustapfen. Welcher alte Zwist mochte die beiden Dan derart entzweien?
16
Die hohe Gestalt des Herrn der Schatten stand über dem Leichnam eines getöteten Sklaven in der großen Halle tief unter der Festung Nagatha. Der Tote lag auf der Erde und war beinahe nackt, nur mit einem Lendenschurz bekleidet – die Bandagen, in denen er eingewickelt gewesen war, hatte man aufgeschnitten.
Der Bash-Arak musterte den Körper mit nachdenklichem Blick. Der Leichnam befand sich in einem recht guten Zustandund zeigte noch keine Anzeichen von Verwesung. Allem Anschein nach hatte der Körper zu Lebzeiten einem Krieger gehört, auf seiner graugelben Haut waren Schwertwunden und Speerstiche erkennbar, die man mit groben Stichen genäht hatte. Vermutlich war es einer jener Männer, welche die Gredows bei ihrem letzten Feldzug in Odo-Kan getötet und nach Caithas Dun gebracht hatten.
Achest hatte seine Soldaten in den letzten Wochen und Monaten oft nach Odo-Kan segeln lassen, um die Ostländer mit Krieg zu überziehen. Dabei hatte er allerdings nicht im Sinn gehabt, ihre Ländereien zu besetzen, sondern legte es einzig und allein darauf an, möglichst viele erschlagene Krieger vom Schlachtfeld zu sammeln und auf die Dronth-Brecher zu verladen. Mittlerweile befanden sich tausende und abertausende Leichen in den riesigen Hallen unter der Festung des Todesfürsten, die Achest mit dem eiskalten Atem seiner Bosheit erfüllt hatte, um ihren Zerfall zu verhindern.
Die Körper sollten den Schatten aus den Grauen Sphären dienen, sobald das Siegel des Meledos-Kristalls endgültig zerstört worden war und das Tor zwischen den Welten offen stand. Die Seelen der Schattenwesen besaßen magische Fähigkeiten, die denen der Dan-Ritter gleichkamen und sie zu ebenbürtigen und grausamen Gegnern in der Schlacht machten, die vor nichts zurückschreckten. Es würde eine Zeit anbrechen, in der sich die Dan die einfachen Gredow-Heere zurückwünschten, deren einzige Stärke in ihrer schieren Überzahl lag und die neben den auferstandenen Schattenkriegern geradezu harmlos wären.
Strahlen roten Lichts fluteten aus der eisernen Ringfassung an der Decke, in deren Mitte der Meledos ruhte.
Der Bash-Arak hob die Arme und wandte sein Gesicht demunheimlichen Leuchten zu. Er hatte sich in der Halle eingefunden, um ein Ritual mit dem wiedergewonnenen Stein zu vollziehen und seine Kräfte zu erproben. Würde es diesmal möglich sein, einem der Schatten Zutritt in den Körper des Toten zu verschaffen? Und wie lange würde sich seine Seele darin aufhalten können?
Bevor der Stein aus Achests Hallen geraubt worden war, hatte der Bash-Arak ähnliche Versuche unternommen, doch sie waren gescheitert. Keines der Schattenwesen hatte die magische Grenze für eine lange Zeit überschreiten können. Das Siegel, das die Sphären voneinander trennte, war nicht vollständig zerstört gewesen, Achests Zauberei hatte nur einen Teil beseitigt.
Seit der Kristall sich aber wieder in der Gewalt des Todesfürsten befand, war es Achest gelungen, weitere Stücke des Siegels zu zerbrechen und einen Gegenzauber auszusprechen, dessen Wirkung der Bash-Arak jetzt erproben wollte.
Mit dunkler Stimme rezitierte er die magischen Formeln, die dem ersten Schattenwesen den Weg nach Algarad bereiten sollten. Immer wieder sprach er sie von neuem und verstärkte ihre Macht. Das konstante Strahlen des Meledos ging in ein schnelles Pulsieren über, als sich Wellen großer Kraft aufbauten und einen wild drehenden Wirbel aus Licht direkt über dem Toten erschufen. Der Körper begann unkontrolliert zu zucken, die Augenlider flatterten und ein gequältes Stöhnen drang aus seiner Kehle. Er bäumte sich auf und starrte den Bash-Arak voller Schrecken und Verzweiflung an. »Noch nicht ... bereit ...«, krächzte er, bevor er erschlaffte und zurücksackte. Augenblicklich erstarb das Leuchten des Meledos, und der Wirbel löste sich auf.
In düsterer Stimmung verharrte der Bash-Arak vor demLeichnam und hüllte sich in seine dunklen Schwingen. Abermals hatte das Siegel der Finsternis, das die Erzmagier der Dan vor tausend Jahren gewirkt hatten, seiner Kraft standgehalten, noch immer hatte Achest es nicht vollständig brechen können! War es möglich, dass auch der Todesfürst, sein Herr und Meister, an der Grenze seiner Macht angelangt war und der Übertritt der Schatten ins Reich von
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