Der Ruf der Finsternis - Algarad 2
ihre Zelte und hüllten sich in ihre kaifiri, weit geschnittene Kleidungsstücke aus Wolle, die auch als Decken benutzt werden konnten.
Es war nicht die Kälte der Halle, die den stolzen Mann aus Shon schaudern ließ. Kein kaifiri der Welt konnte das Gefühl der Beklemmung vertreiben, das ihn erfasst hatte. Oder war nicht doch Furcht die bessere Bezeichnung für die Empfindung, die er wahrnahm? Doch Furcht durfte es im Geist Thut Thul Kanens, des Hauptmanns von Shon, nicht geben, ein Krieger seines Ranges musste den Gedanken daran verbannen. Dennoch hielt er einige Schritte respektvollen Abstand zu dem Kristall, der vor ihm unter einem Tuch auf einer alten Holzkiste lag. Ein blutrotes Leuchten drang unter dem Stoff hervor und erhellte die Lagerhalle gespenstisch.
Thut Thul Kanen hatte in den letzten Tagen mehrmals unliebsame Bekanntschaft mit den Kräften des magischen Steins gemacht, den er dem Bash-Arak im Kampf abgenommen hatte. Schattenwesen hatten sich auf der Oberfläche des Kristalls gezeigt, seltsame schwarze Strahlen waren von ihm ausgegangen, die aber schnell wieder verschwunden waren. Auch wenn sich noch nichts Schlimmes ereignet hatte, musste er handeln und den Kristall versiegeln lassen, damit kein Unglück eintrat.
Er zog den weiten Umhang fester über seine schäbige Kleidung,die er nur trug, um den Lederpanzer und die Farbe seiner Haut darunter zu verbergen. Dann wandte er den Kopf und musterte den kleinen buckligen Mann abschätzig, der neben ihm in demutsvoller Haltung wartete. Graues Haar fiel in Strähnen über das gelbliche Gesicht, aus dem wässrige Augen in gespielter Ehrerbietung aufblickten. Sein Mund, der von einem spärlichen Bart umgeben war, bewegte sich in beständigem Schmatzen. In Shon wäre es unter Thut Thul Kanens Würde gewesen, mit einer solch widerwärtigen Kreatur zu sprechen, aber die Situation verlangte, dass er seinen Stolz beiseiteschob.
»Nun? Was meinst du? Reichen deine magischen Fähigkeiten aus, um den Kristall mit einem Schutzzauber zu versehen?«
Der Alte zeigte ein verschlagenes Grinsen und rieb sich die Hände. »Oh, gewiss doch, mein Herr! Es gibt keine Zauberei, die der alte Fokler nicht zustande bringt. Ich bin in Meledin bekannt für meine Fertigkeiten.«
»Ich glaube, du unterschätzt die Gefährlichkeit dieses Kristalls.« Thut Thul Kanen verzog spöttisch den Mund, was sein Gesicht mit der straff gespannten Haut wie einen Totenkopf aussehen ließ. »Es geht nicht darum, einen Liebeszauber für weibstolle Jünglinge zu weben oder einen verlorenen Schlüssel zu finden. Seit ich diesen Stein besitze, versuchen sich die Wesen, die durch ihn gebannt sind, Zugang zu unserer Welt zu verschaffen.«
»Die Wesen, die durch ihn gebannt sind?« Der Alte blickte verständnislos auf.
Thut Thul Kanens Stimme sank zu einem Flüstern, als er antwortete: »Der Kristall ist ein Werkzeug dunklen Zaubers. Niemand darf direkt hineinblicken. Tut man es doch, so kann es sein, dass man unter den Einfluss der Geister gerät undihnen hilflos ausgeliefert ist. Sie können jeden in den Wahnsinn treiben. Deshalb verwahre ich den Kristall in diesem Tuch. Letzte Nacht wäre sogar dieser Schutz fast wirkungslos gewesen.«
Er stockte, und der Magier wartete eine Weile, bevor er devot sagte: »Sprecht nur weiter. Je mehr ich weiß, desto besseren Zauber kann ich wirken.«
»Es war kurz vor dem Einschlafen. Plötzlich wurde das Leuchten des Steins so stark, dass es die ganze Halle erfüllte. Schwarze Schattenhände schwebten in der Luft und griffen nach mir. Die Geister waren offenbar kurz davor, die Grenze zu unserer Welt zu überschreiten. Ich bin überzeugt, dass sie es irgendwann tun werden und Tod und Verderben bringen, so wie es damals bei meinem Volk geschah.«
»Es war gewiss nur der Zustand zwischen Wachen und Träumen, der Euch das alles vorgegaukelt hat«, wiegelte der Magier besserwisserisch ab. »Glaubt mir, nur ein besonders mächtiger Zauber könnte die Geister in die Welt der Menschen rufen und ...«
Thut Thul Kanen packte den Alten am Kragen. »Du Narr! Willst du mir einreden, dass ich mir alles nur eingebildet habe? Deine Worte zeigen mir, wie wenig du davon verstehst! Der Kristall unter dem Tuch ist nicht irgendein belangloser Zauberstein. Es ist ein Stein von großer Macht. Mein eigenes Volk musste vor vielen Jahren erfahren, was Kristalle wie dieser hier anrichten können. Wir wären fast vernichtet worden!« Er stieß ihn angewidert von sich. »Tu jetzt am
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