Der Ruf der Finsternis - Algarad 2
Schüssel mit einem dampfenden Sud. Das musste zweifellos Meister Erdon sein.
Als er Tenan bemerkte, hob er erstaunt die weißen Augenbrauen. »Kann ich dir helfen, mein Sohn? Hast du dich im Zelt geirrt? Die Mannschaftsquartiere liegen direkt gegenüber.«
Tenan schüttelte den Kopf und verneigte sich ehrerbietig. »Ich war dabei, als dieser Mann in der zerstörten Stadt aufgegriffen wurde. Wenn Ihr erlaubt, würde ich ihm gern einige äußerst wichtige Fragen stellen.«
»Ich fürchte, du musst wiederkommen, wenn es ihm etwas besser geht«, erwiderte Erdon. »Man hat ihm körperlich schwer zugesetzt, und sein Geisteszustand ist äußerst bedenklich. Wenn er genesen soll, braucht der Kranke absolute Ruhe!«
Es war eine höfliche, aber bestimmte Aufforderung, das Zelt zu verlassen, aber Tenan wollte sich nicht so schnell vertreibenlassen. »Verzeiht, Meister, aber ich kenne diesen Mann, und er kennt mich. Vielleicht könnte ich dabei behilflich sein, ihn aus seinem Wahn zu befreien. Die Informationen, die er möglicherweise besitzt, könnten den Krieg auf Gondun zu unseren Gunsten beeinflussen. Lord Amberon wartet auf meine Nachrichten.«
»Mein lieber Junge, auch der Erzmagier wird sich gedulden müssen. Ich möchte nicht ...«
»Lasst nur«, ertönte plötzlich Serens schwache Stimme von der Bahre her. »Ich werde mit ihm reden.«
Tenan und Erdon fuhren herum und traten an seine Liege. Seren Toroquar atmete flach und stoßweise. Seine Augen waren geschlossen, aber er schien wach zu sein und den letzten Teil ihrer Unterhaltung gehört zu haben. Erdon fühlte seinen Puls, beugte sich besorgt über ihn und strich mit der Hand mehrmals über seine Stirn, als könne er auf diese Weise erspüren, wie es dem Kranken ging.
»Verschont mich mit Eurer Quacksalberei«, murmelte Seren. »Es geht zu Ende mit mir. Um das zu wissen, brauche ich keinen Heiler.«
Erdon erwiderte nichts, aber an seinem Gesichtsausdruck konnte Tenan ablesen, dass er Serens Einschätzung teilte.
Der Heiler nahm Tenan beiseite. »Es steht wirklich schlecht um ihn. Ich vermute, die Strapazen waren zu groß und seine Seele hat – ebenso wie sein Körper – großen Schaden genommen. Seine Stunden sind gezählt, deswegen erlaube ich dir ausnahmsweise, mit ihm zu reden. Aber nicht zu lange. In ein paar Minuten komme ich zurück. Auch wenn er stirbt, hat er ein Recht auf Ruhe.« Damit verschwand Meister Erdon geräuschlos nach draußen.
Tenan beugte sich über Seren. Die letzten Wochen hattendeutliche Spuren hinterlassen: Sein Gesicht war von blutigen Schrammen und einer länglichen Narbe überzogen und seine Augen bewegten sich unter den geschlossenen Lidern unruhig. Unwillkürlich empfand Tenan Mitleid für den schwer gezeichneten Mann. »Seren?«
Der Kopf des Händlers drehte sich zu ihm. Er hob die Augenlider und musterte Tenan, dann lächelte er freudlos. »Ich hätte nicht gedacht, dass du noch einmal nach Gondun zurückkehrst.«
»Ich bin mit einem mächtigen Heer von Dan-Rittern gekommen, das hier ist, um die Insel zu befreien.«
Etwas, das wie ein heiseres Lachen klang, drang aus Serens Kehle. »Dan-Ritter? Sie haben keine Chance gegen die Gredows.« Seine Augen flackerten im ständigen Kampf mit dem Wahnsinn, der ihn wieder zu übermannen drohte. »Die Gredows werden die Dan zertreten wie ein Nest von Gunag-Käfern. Sie haben ein riesiges Heer und besitzen gewaltige Kriegsmaschinen – riesige Steinschleudern und Rammböcke, die sie auch beim Angriff auf Dorlin eingesetzt haben.«
Tenan zuckte die Schultern. »Die Ritter von Dan sind mächtige Kämpfer. Ich bin sicher, dass sie die Gredows schlagen werden.«
»Hast du je von Eshgoths gehört?«, fragte Seren. »Sollte ich das?«
Der Händler bedachte ihn mit einem mitleidigen Blick. »Eshgoths sind Ausgeburten der Unterwelt«, flüsterte er. »Grausame Bestien, deren einziges Bestreben es ist, zu fressen und zu töten. Sie sind gut zwei Köpfe größer als ein Mensch, kräftige, unerbittliche Kämpfer; sie brauchen keine Rüstung, denn ihre Haut ist zäh wie dreifaches Leder, und kein Schwertkann sie verletzen. Die Gredows halten sie in riesigen Käfigen eingesperrt, und wenn sie freigelassen werden, stürzen sie sich mordgierig auf alles, was ihnen in die Quere kommt. Im Blutrausch greifen sie manchmal sogar ihre eigenen Wärter an. In der Schlacht um Dorlin bildeten sie die Vorhut der Gredows.«
»Erzähl mir mehr vom Kampf um die Stadt«, bat Tenan. »Du bist der einzige
Weitere Kostenlose Bücher