Der Ruf der Finsternis - Algarad 2
seit kurzem ein kleiner Lichtpunkt ab, der sich allmählich vergrößerte – das Ende des Tunnels, wie Osyn hoffte. Und tatsächlich: Nach einiger Zeit bestand kein Zweifel mehr, dass es sich um den Tunnelausgang handelte.
Als sie ihn erreichten, steckte Osyn vorsichtig den Kopf hinaus, um sicherzugehen, dass keine neuen Gefahren auf sie warteten. Doch in der abendlichen Felsenlandschaft, die er erblickte, zeigte sich keinerlei Leben. Osyn zog das Orn-Tier ins Freie. Überglücklich, den finsteren Verliesen des Todesfürsten endlich entkommen zu sein, hielt der Comori einen Augenblick inne und sog die kühle Luft tief ein.
Sie befanden sich auf einer kleinen Plattform aus schwarzem Gestein, die sich unauffällig an die nördliche Flanke des Berges schmiegte und so geschickt zwischen den Felsen verborgen war, dass man sie kaum entdecken konnte. Die Steine hatten absonderliche Formen und wiesen scharfe Kanten und Grate auf, an denen man sich leicht verletzen konnte. Der Hang wurde von tiefen Spalten durchzogen, die einen Abstieg schier unmöglich machten. In Osyns Rücken, hoch oben auf der Spitze des zerklüfteten Berges, konnte man die Festung Nagatha erkennen, von deren Türmen ein unheimliches grünes Licht auf die Felsen strahlte. Einige Fenster waren erleuchtet, und Osyn fragte sich schaudernd, was in den Kammern wohl vor sich ging.
Er lauschte. Nichts. Kein Lebewesen bewegte sich in der Nähe, es war totenstill. Eine dichte Wolkendecke verhüllte den Himmel wie ein stickiges Leichentuch. Wie gern hätte Osyn wenigstens ein paar Sterne gesehen, aber er wusste, dass diese Hoffnung vergebens war. Zum wiederholten Mal verfluchte er,dass Ucek, der Gredow, seinen Stab der Kraft zerstört hatte, mit dessen Hilfe er ein Licht hätte entzünden können. Er warf dem Krieger einen verärgerten Blick zu, den der Gredow mit unverhohlenem Hass erwiderte. Für den Soldaten des Todesfürsten musste es eine besondere Schmach sein, sich nicht aus dem Bann des Comori befreien zu können und dem Magier hilflos ausgeliefert zu sein. Osyn zweifelte nicht daran, dass Ucek ihn sofort mit seinen bloßen Händen getötet hätte.
Doch momentan plagten den Zauberer ganz andere Sorgen: Wie sollte er nun in der zunehmenden Dunkelheit einen Weg nach unten in die Ebene finden?
4
Die Unai, wie die Schattenwesen in der Alten Sprache genannt wurden, waren ihrem Herrn und Meister, dem Bash-Arak, seit tausend Jahren unterworfen. Sie mussten tun, was er befahl, und waren ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Einst hatten sie in einer lichteren Welt als den Grauen Sphären gewohnt und die Zauber der Enim-Priester ausgeführt, denen sie Untertan gewesen waren. Das weise Volk der Enim hatte ihre Kräfte durch die magischen Kristalle von On gelenkt und auf diese Weise die Naturgewalten im Gleichgewicht gehalten. Alles war gut gewesen, bis die Unai der Verführung des Bash-Arak erlegen waren und ihm und dem Todesfürsten auf dem Weg der Dunkelheit folgten. Fortan waren sie an den Bash-Arak gebunden, bis er sie aus seinem Zauber entließ. In regelmäßigen Abständen mussten sie von dem schwarzen Feuer des Flusses Xyss trinken, der die GrauenSphären endlos durchströmte. Ein schauerliches Monstrum namens Gogam würgte die Flammenflut hervor und speiste den Fluss mit dem dunklen Lebenselixier, das den Schatten Kraft und Stärke verlieh. Ohne dieses schwarze Feuer würden sie in dumpfe Lethargie verfallen und schließlich in Bereiche absinken, die noch entsetzlicher waren als die Grauen Sphären.
Zwei Schattenwesen hatten sich in einem der fensterlosen Türme eingefunden, die sich überall in der Zwischenwelt auf den wüsten Ebenen erhoben. Vor Urzeiten waren sie von einem unbekannten Volk erbaut worden, aber niemand kannte ihre ursprüngliche Bestimmung; nun dienten sie den Schattenwesen zuweilen als Ort für ihre Zusammenkünfte.
Die beiden Unai drängten sich in einem lichtlosen Raum um eine steinerne Schale, in der schwarze Xyss-Flammen loderten.
»Ich bin es leid, das verfluchte Elixier trinken zu müssen«, sagte der eine voller Abscheu.
»Du weißt, dass wir es dringend benötigen, um in den Grauen Sphären leben zu können«, entgegnete der andere matt. »Das Schwarze Feuer hält uns am Leben und verhindert, dass wir in die nächste Ebene der Dunkelheit gezogen werden, aus der es dann kein Entrinnen mehr gibt.« Er tauchte seine klauenartigen Hände in die Flammen, schöpfte den grausigen Trank und schlürfte ihn gierig. »Solange der
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