Der Ruf der Finsternis - Algarad 2
Angriff auf den Stützpunkt der Gredows nicht bald geschah, würde das Wetter einen Feldzug unmöglich machen. Und ein Überwintern der Armee wollte er unbedingt vermeiden, da die Vorräte knapp werden konnten und eine lange Zeit der Untätigkeit die Moral der Soldaten zersetzen würde. Davon abgesehen verschaffte jede Verzögerung Achest Zeit, seine teuflischen Pläne in die Tat umzusetzen.
17
Die Söldner, die den Heereszug der Dan nach Eisgarth begleitet hatten, mussten einen mannshohen Verteidigungswall aufschütten, der den Stützpunkt gegen Angriffe schützen sollte. Es war Knochenarbeit für die Männer. Der Boden war an vielen Stellen gefroren, und die Spaten der Arbeiter konnten die Erdschollen kaum durchdringen. Trotzdem arbeiteten sie Tag und Nacht, und langsam entstand neben der zerstörten Stadt ein kleines trutziges Bollwerk.
Thut Thul Kanen stützte sich auf seine Schaufel, sein Atem ging stoßweise vor Anstrengung und bildete weiße Wolken in der kalten Luft. Trotz des eisigen Wetters schwitzte er.
Seine Gedanken wanderten zu seiner Heimat. Dort warnun die Zeit der Göttin Kalu angebrochen, der Herrscherin der Sonne, in deren Monaten eine trockene Hitze über den Inseln brütete und nie ein Tropfen Regen fiel. In dieser Jahreszeit wehten heiße Wüstenwinde über die Ebenen, und die Bewohner von Shon verließen ihre Behausungen erst des Abends, wenn es ein wenig kühler und erträglicher geworden war. Es waren die Monate, in denen man auf die Jagd ging und spätnachts am Feuer den alten Sagen und Geschichten lauschte, während das Fleisch am Feuer briet. Thut Thul Kanen lächelte wehmütig vor sich hin, als er sich diesen Erinnerungen hingab. Er wusste, es würde noch einige Zeit dauern, bis er nach Shon zurückkehren konnte, aber schon jetzt wünschte er nichts sehnlicher, als dort zu sein. Doch vorher galt es, seine Mission erfolgreich zu erfüllen.
Er ließ seinen Blick über das rege Treiben im Lager schweifen und hielt Ausschau nach der Rose des Nordens, die er schon länger nicht mehr gesehen hatte. Vermutlich hielt sie sich in der Wärme eines der Zelte der Heerführer auf.
»Willst du hier Wurzeln schlagen, Südländer?«, ertönte plötzlich eine Stimme hinter Thut Thul Kanen, die das Befehlen gewöhnt war. »Du erhältst deinen Sold nicht fürs Herumstehen, sondern fürs Arbeiten!«
Für einen kurzen Augenblick brandete eine Welle der Wut in ihm auf – niemand durfte in diesem Ton mit ihm sprechen! Aber er zwang sich zur Ruhe. Er durfte auf keinen Fall Aufsehen erregen, wollte er sich und seinen Plan nicht gefährden – hier im Lager konnte er seine Widersacher nicht einfach verschwinden lassen wie damals Cogar auf dem Schiff.
Äußerlich ruhig drehte er sich um und erblickte einen Dan-Ritter, der ihn feindselig aus schmalen Augen musterte. Seinem Aussehen nach – er hatte hohe Wangenknochen, sein langesschwarzes Haar wurde am Hinterkopf von einem silbernen Reif zusammengehalten – stammte er aus den östlichen Bereichen Algarads, einer Region, die vor vielen Jahrhunderten Krieg gegen die Südinseln geführt hatte und deshalb noch immer als feindlich galt, auch wenn sich niemand mehr an die längst vergangenen Schlachten erinnern konnte.
»Nun?« Der Dan zog eine Augenbraue nach oben. »Gibt es ein Problem?«
Thut Thul Kanen atmete aus und streckte seine Finger, die er unwillkürlich zu Fäusten geballt hatte. Wäre er in einer anderen Situation und an einem anderen Ort gewesen, hätte er den anderen schon längst niedergeschlagen. So aber verneigte er sich nur vor ihm und vermied es, ihn direkt anzusehen, um seinen Zorn zu verbergen.
»Kein Problem, Herr«, murmelte er unterwürfig. Er packte den Spaten und stieß ihn in den gefrorenen Boden. Das Geräusch hörte sich an wie brechende Knochen.
Der Dan blieb nahe bei ihm stehen und sah ihm zu, während Thut Thul Kanen die Zähne zusammenbiss und fortfuhr, Erde auf den Wall zu schaufeln. Jedes Mal, wenn er sich bückte, konnte Thut Thul Kanen die Spitzen der Stiefel des Ritters sehen.
»Gut so, Südländer«, höhnte er. »Ich wusste gar nicht, dass einer deines Volks so hart arbeiten kann.«
»Wir können es, Herr, und noch weitaus mehr, als Ihr Euch vorstellen könnt«, antwortete Thut Thul Kanen, ohne aufzusehen. Bei jedem Stich des Spatenblatts stellte er sich vor, wie er es ins Herz des Dan-Kriegers rammte.
Der Ritter wartete noch eine Weile und sah ihm zu, dann spuckte er aus und verschwand zwischen den Zelten.
Ein
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