Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari
Grünwald auch ihr zutoastete. Nur widerwillig setzte sie das Glas an ihre Lippen. Victor Grünwald gefiel ihr ebenso wenig wie Lucie. War es in Afrika wirklich Sitte, dass man gemeinsam mit den Bediensteten aß? Der Tisch auf der Veranda war für drei Personen gedeckt.
»Wir haben noch einige wichtige Dinge wegen der Farm zu besprechen«, erklärte Lucie, die Jellas Gedanken zu erraten schien. »Ich habe einige Veränderungen auf der Farm vor und muss sie nach dem Abendessen noch mit Victor besprechen.« Jella wunderte sich auch über die vertraute Anrede. Es musste eine typisch afrikanische Gepflogenheit sein. Immerhin blieb Grünwald Lucie gegenüber immer höflich und sprach sie ehrerbietig mit »Fräulein von Sonthofen« an. Nancy brachte auf dem Grill gebratene Kuduschulter und reichte dazu grüne Bohnen und gekochte Süßkartoffeln. Außerdem hatte sie eine scharfe Chilisauce zubereitet, die wunderbar zu dem gegrillten Wildfleisch passte. Jella spürte, wie ihr das Wasser im Mund zusammenlief. Sie hatte schon lange nichts Richtiges mehr gegessen und machte sich trotz ihres Kummers mit erstaunlichem Appetit über das Essen her. Außerdem hoffte sie, nun endlich mehr über ihren Vater zu erfahren. Doch alle ihre Versuche, eine Konversation in Gang zu bekommen, verliefen mehr oder weniger im Sande. Auf die Frage danach, wo Lucie und ihr Vater sich kennengelernt hatten, erfuhr sie nicht mehr, als dass sie sich in der nahe gelegenen Bezirkshauptstadt
Grootfontein zum ersten Mal gesehen und sogleich verliebt hatten. Innerhalb kürzester Zeit hatte Johannes um Lucies Hand angehalten und sie zu sich nach Owitambe geholt.
»Wie lange waren Sie denn verheiratet?«, wollte Jella wissen. Lucie verzog bekümmert das Gesicht.
»Leider viel zu kurz«, bedauerte sie. »Wir hatten gerade mal sechs Wochen Zeit, unser Glück zu genießen.« Jella fühlte sich peinlich berührt und enthielt sich eines Kommentars. Sie wechselte das Thema und fragte Victor nach der Farm aus. Aus seinen dürren Worten erfuhr sie, dass ihr Vater seit einigen Jahren versucht hatte, eine Rinderzucht aufzubauen, die allerdings bisher noch keinen nennenswerten Gewinn erwirtschaftet hatte, weil sich ihr Vater geweigert hatte, das Land intensiv zu nutzen, und weil er die schwarzen Farmarbeiter an seinem Gewinn beteiligt hatte. Jella stutzte. Das passte so gar nicht zu dem Verhalten des Dienstpersonals.
»Rinderzucht lohnt sich nur, wenn das ganze Land hier bewirtschaftet wird«, meinte Grünwald verächtlich. »Auf Owitambe gibt es Wasser genug, doch von Sonthofen hatte immer auch noch die Natur und die Wildtiere im Visier. Er meinte, dass es dem Land nur schade, wenn man es zu intensiv bewirtschafte. Außerdem ließ er den Hereros viel zu viele Freiheiten. Das war eindeutig ein Fehler.«
»Ich bin sicher, dass er sich seine Entscheidung gut überlegt hat«, verteidigte Jella ihren Vater. Plötzlich fühlte sie sich verpflichtet, ihn in Schutz zu nehmen.
»Sicher«, erklärte Lucie beschwichtigend. »Aber jetzt haben sich die Umstände eben geändert, und ich beabsichtige, hier einiges anders zu machen. Aber das muss Sie ja nicht weiter kümmern.« Ihr Blick war eindeutig kalt. Er verbot Jella jegliche Einmischung. Diese biss sich auf die Unterlippe. Zu gerne hätte sie ihre abweichende Meinung kundgetan. Aber eine eigene Meinung stand ihr nicht zu, auch wenn allein die Vorstellung, diese wundervolle Idylle durch Unmengen schreiender Rinder zu zerstören, wehtat.
»Ich möchte mir die Farm und das dazugehörende Gelände gern näher ansehen«, wechselte sie das Thema. »Kann ich mir morgen ein Pferd ausleihen und ein wenig ausreiten?«
Sie hatte nicht mit dieser heftigen Reaktion gerechnet.
»Wozu?«, schnappte Lucie. »Sie haben Ihren Vater doch nicht einmal gekannt!«
»Ich möchte sehen, wie er gelebt hat«, verteidigte sich Jella verwundert. Sie hatte es auf keine Konfrontation angelegt. Lucie musterte sie mit zusammengekniffenen Augen.
»Nun passen Sie mal gut auf! Ihr Vater ist tot. Das ist eine Tatsache. Es tut mir leid, dass Sie deswegen umsonst die weite Reise auf sich genommen haben. Selbstverständlich können Sie sich ein paar Tage auf meiner Farm ausruhen und von mir aus nachdenken, was Sie in Zukunft tun werden. Aber dann werden Sie von hier verschwinden und mich gefälligst in Ruhe lassen!«
Lucie sah Jella herausfordernd an. Die eisblaue Iris in ihren Augen bekam plötzlich einen noch härteren Rand. » Owitambe gehört mir«,
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