Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari
stellte sie nochmals unmissverständlich klar.
Jella schnappte nach Luft.
»Aber daran habe ich doch niemals gezweifelt.«
»Dann ist es ja gut.« Lucie nickte grimmig. »Nancy hat wie alle hier erkannt, dass Sie Johannes’ Tochter sein müssen. Ihre Körpergröße, das Kinn, das Haar und die Haltung lassen es vermuten, auch wenn Sie keinerlei Beweise haben. Die Briefe Ihrer Mutter und Ihres Großvaters beweisen gar nichts. Sie könnten gefälscht sein und sind fragwürdig. Ich allerdings bin Johannes’ rechtmäßige Witwe. Jedes Gericht in der Kolonie wird Ihnen meine Rechte bestätigen.« Ihre Augen blitzten triumphierend auf. Völlig überraschend verbreiterte sich ihr Mund zu einem versöhnlichen Lächeln.
»Möchten Sie vielleicht noch einen Nachtisch?«, fragte sie mit einem zuckersüßen Lächeln. »Ich möchte unbedingt, dass Sie meine Farm und meine Gastfreundschaft in bester Erinnerung behalten.«
Himmel über Afrika
Lucie hatte ihr unmissverständlich klargemacht, dass sie auf Owitambe nicht willkommen war. Dennoch sträubte sich Jella dagegen, das Land sofort wieder zu verlassen. Dass ihr Vater tot war, war schon schlimm genug, sie würde ihn nie kennenlernen - und genau deshalb wollte sie noch ein wenig bleiben. Sie wollte wenigstens verstehen lernen, was er so sehr an der Farm geliebt hatte. Dann wäre für sie die weite Reise nach Südwest nicht ganz umsonst gewesen. Außerdem wusste sie nicht, was sie sonst hätte tun können. Ihre Zukunft lag wie ein dichtes Nebelfeld vor ihr. Dem Gesetz nach war Lucie noch nicht die Erbin von Owitambe . Die Bezirkshauptmannsstelle in Otjiwarongo war gerade neu besetzt worden, und es würde seine Zeit dauern, bis der Bezirkshauptmann alles regeln konnte. Wenn Lucie Ärger vermeiden wollte, konnte sie Jella gar nicht hinauswerfen. Notgedrungen akzeptierte sie Jellas Wunsch, noch länger auf der Farm zu bleiben. Sie gab sich allerdings kaum Mühe, ihr gegenüber freundlich zu sein.
Die nächsten Tage lernte Jella das Land, das ihrem Vater zur Heimat geworden war, lieben und schätzen. Bereits vor Sonnenaufgang wachte sie auf und schlich aus dem Haus zu ihrem Lieblingsplatz auf einer kleinen Anhöhe, die sich vor dem zwischen zwei Pebblesteinen eingeklemmten Haus befand. Eine ausladende Schirmakazie überdachte und behütete die Anhöhe. Jella setzte sich auf eine der Wurzeln und lauschte in die endende Nacht hinein. Überall raschelte und bewegte es sich, doch die Dunkelheit
machte die Urheber noch unsichtbar. Dann setzte die Morgendämmerung ein. Ein türkisfarbener Streifen erhellte den Horizont, breitete sich stetig aus und verwandelte sich in ein dunkles Rotorange, das die Landschaft in ein bizarres Licht tauchte. Von der Sonne war noch nichts zu sehen. Überall regte sich jetzt noch mehr Leben. Neugierige Erdmännchen lugten aus ihren Deckungen hervor, huschten über die Felsen und richteten sich auf, um auf mögliche Gefahren zu lauschen. Eine Wildkatze lag auf der Lauer. Jella sah ihre schwarzbraune Schwanzspitze unruhig hin und her wedeln. Doch die Erdmännchen waren aufmerksam und hatten den Räuber entdeckt. Ein kurzes Fiepen von dem Wächterposten, und schon waren die kleinen Kerle in ihren Erdbauten verschwunden. Gleichmütig bezog die Katze einen anderen Posten. In der Ferne hörte Jella das Brüllen eines Löwen. Ein Schauer lief über ihren Rücken, weil sie unwillkürlich an ihren Vater erinnert wurde. Wie schrecklich doch sein Tod gewesen war.
Dann zeigte sich der tiefrote Sonnenball zwischen den Büschen und Bäumen. In der kalten, klaren Morgenluft erschien die Sonne viel kleiner und klarer als am Abend, wenn die Landschaft von der flirrenden Hitze aufgeladen war und den Feuerball wie durch eine Lupe vergrößerte. Jella atmete tief die würzige Luft ein. Es roch nach fremdartigen Pflanzen und nach wilden Tieren - ein eigenartiger Geruch, den sie tief in sich aufnahm.
Auf der Farm regte sich mittlerweile erstes Leben. Einige der schwarzen Farmarbeiter huschten aus ihren Hütten hinaus und begaben sich zu den Stallungen, in denen die Milchkühe darauf warteten, gemolken zu werden. Die Männer wurden freudig durch ein lautes Muhen begrüßt. Jella beschloss, sich ebenfalls dorthin zu begeben. Die letzten Tage hatte sie damit verbracht, die nähere Umgebung der Farm zu erkunden. Grünwald hatte ihr in seiner einsilbigen Art ein Pferd zur Verfügung gestellt; allerdings war es ziemlich alt gewesen und zeigte wenig Lust, Jella
bei der Hitze
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