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Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari

Titel: Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Mennen
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Haut zu spüren. Das Wasser der Spree funkelte blaugrün. Bereitwillig vertraute sie dem leisen Plätschern und Funkeln ihre Gedanken an. Schon als kleines Kind war sie nur zu gern dem Drang gefolgt, sich in andere Welten zu flüchten, wenn etwas ganz und gar schiefgelaufen war. Sie stellte sich einfach vor, wie es sein konnte, wenn alles gut war - und schon fühlte sie sich besser. So erging es ihr auch jetzt. Sie sah sich in Männerkleidern vor der Friedrich-Wilhelms-Universität herumflanieren. Keiner erkannte sie als Frau, während sie wie selbstverständlich, ihre männlichen Kommilitonen grüßend, die große Aula des Gebäudes betrat, um an einer der naturwissenschaftlichen Vorlesungen teilzunehmen und zu studieren. Was für ein Leben musste das sein! Sie würde endlich mehr über die Vielfalt und die Strukturen der Pflanzen und Tiere erfahren. Sie würde sie sezieren, zerlegen und genau untersuchen, wo ihre Geheimnisse verborgen lagen. Wie Charles Darwin wollte sie auf einem Forschungsschiff in die weite Welt hinaussegeln, um dort neue Spezies zu entdecken. Sie würde Pflanzen sammeln und sie auf ihre Heilkräfte untersuchen, und wenn es möglich war, würde sie neue Medikamente entwickeln. Was für Möglichkeiten wohl noch in der Natur steckten? Die Welt brauchte Forscher wie sie! Kamen nicht täglich Meldungen aus den neu gegründeten Kolonien über die Entdeckung neuer Tier- und Pflanzenarten?
Was unterschied sie von den einheimischen Pflanzen, welche Möglichkeiten mochten noch in ihnen stecken? Fragen über Fragen, die nur darauf warteten, von ihr beantwortet zu werden.
    Jella warf einen Kieselstein ins Wasser und beobachtete, wie er inmitten einer kleinen Fontäne rasch versank. Wie ihre Träume. Sie hatten nichts mit der Realität zu tun. Sie waren aberwitzig und funktionierten nur in ihrer Fantasie. Studienplätze an der Universität waren im preußischen Berlin fast ausschließlich Männern vorbehalten. Nur wenigen Frauen war es unter großen Vorbehalten bis jetzt gelungen, erfolgreich ein Studium abzuschließen. Allerdings wurden es immer mehr. Und genau das machte Jella Mut. Ihr großes Vorbild war Elsa Neumann. Sie hatte vor einigen Jahren als erste Frau in Berlin ihre Dissertation in Physik abgelegt. Warum sollte sie nicht Ähnliches leisten können? Sie fühlte sich dazu durchaus imstande, wenn man sie nur ließe! Elsa Neumann hatte allen Frauen bewiesen, dass es möglich war, seine Träume zu verwirklichen. Vielleicht sollte sie einfach zum Institutsleiter an der Universität gehen und ihn um einen Studienplatz bitten...
    Die Schiffsglocke eines vorbeituckernden Spreeschiffes brachte sie wieder in die Realität zurück. Nach dem Reinfall mit der Schmodde waren jetzt ganz andere Dinge wichtig. Ihre Mutter brauchte dringend die verschriebene Medizin. Sie wartete schon viel zu lange darauf. Rachel war in den letzten Wochen so blass und so schmal geworden. Sie litt an einem hartnäckigen Husten, der ihren ganzen Körper zum Beben brachte. Selbst bei dem warmen, trockenen Wetter wurde er nicht besser. An den bevorstehenden Winter mochte Jella gar nicht erst denken. Lange Zeit hatte ihre Mutter versucht, ihren erbärmlichen Zustand vor ihr zu verbergen und, als das nicht mehr funktionierte, ihn herunterzuspielen. Als Jella jedoch vor etwas mehr als einer Woche entdeckt hatte, dass das Taschentuch, in das sie hineinhustete, voller Blut gewesen war, hatte sie panische Angst bekommen. Sie wollte
ihre Mutter sofort in das nahe gelegene Städtische Krankenhaus im Friedrichshain bringen. Doch Rachel hatte sich energisch dagegen gewehrt.
    »Dorthin bringen mich keine zehn Pferde!«, hatte sie protestiert. »Wenn ich mich in die Hände dieser Kurpfuscher begebe, rauben sie mir noch den letzten Rest meiner Gesundheit.« Das entsprach höchstwahrscheinlich der Wahrheit. Das Krankenhaus war die meiste Zeit hoffnungslos überfüllt. Es gab viel zu wenige Ärzte mit viel zu wenig Zeit für ihre Patienten. Und eine Konsultation in der Charité, dem modernsten Krankenhaus der Stadt, konnten sie sich nicht leisten. Jella war deshalb nichts anderes übrig geblieben, als den versoffenen Dr. Kuhl von nebenan zu Hilfe zu holen. Er war immerhin gleich erschienen und hatte ihre Mutter kostenlos untersucht. Umständlich hatte er mit seinem hölzernen Hörrohr ihren Rücken abgehorcht, mit geschlossenen Augen Rachels Puls gefühlt, lustlos ihre Augenlider nach unten gezogen und Mund und Zunge inspiziert. Lange ließ er sich

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