Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari
daran hindern konnte, ihre eigenen Wege zu gehen. Er war ihr Mann, nun gut. Er versorgte sie mit Fleisch, das war seine Pflicht. Als Gegenleistung gab sie ihm hin und wieder ihren Körper. Gefühle konnte er von ihr nicht verlangen. Ohne ihn weiter zu beachten, wandte sich Nakeshi an ihren Vater und begrüßte ihn achtungsvoll.
»Ich hatte eine Vision«, sagte sie und deutete auf Jella. »Ich musste ihr helfen. Wir sind Sternenschwestern.«
Ihre Mitteilung löste einige Unruhe in der Gemeinschaft aus. Besonders Chuka, ihre Mutter, geriet völlig außer sich.
»Warum muss meine Tochter immer etwas Besonderes sein? Kann sie nicht eine Sternenschwester aus unserem Volk finden? Ist sie vielleicht keine von uns?«
Debe beruhigte seine Frau mit einer beschwichtigenden Geste.
»Es ist, wie es ist«, stellte er fest. »Wenn diese Fremde und Nakeshi Sternenschwestern sind, dann soll sie uns willkommen sein wie ein Mitglied unserer Gruppe. Biete ihr Essen und Wasser an. Sie wird hungrig sein.«
Nakeshi nickte.
»Ja, Vater das sind wir.«
Sie zupfte Jella am Ärmel und bedeutete ihr, ihr zu folgen. An ihrem Mann vorbei marschierte sie zu der Hütte ihrer Eltern und ließ sich an deren Feuer nieder. Gao folgte ihnen missmutig. Er war offensichtlich verärgert, weil Nakeshi seine Vorwürfe so ungerührt hatte über sich ergehen lassen. Gemeinsam mit den anderen Mitgliedern der Buschmanngruppe nahm er deshalb in einiger Entfernung zu dem Feuer Platz und lauschte von dort Nakeshis Erzählungen. In einfachen, bescheidenen Worten umriss sie die Geschehnisse der letzten Tage. Immer wieder wurde sie von neugierigen Zwischenfragen unterbrochen, die sie geduldig beantwortete, bevor sie sich langsam in ihrer Geschichte weitertastete.
Jella verstand kein Wort. Sie saß umringt von den kleinen Buschmännern mitten in der Gruppe und ragte wie ein hellhäutiger, rothaariger Koloss darin empor. Sie kam sich ziemlich deplatziert vor und konnte nur mit Mühe erraten, um was es bei den ausführlichen Gesprächen ging. Eine ältere Frau stupste sie an und reichte ihr ein Straußenei zum Trinken. Ihrem Verhalten nach musste es sich um Nakeshis Mutter handeln. Jella nahm das Gefäß dankbar entgegen und trank in großen Schlucken. Die ältere Frau erschrak offensichtlich und tuschelte etwas mit ihrer Nachbarin. Jella fühlte sich ertappt. Beschämt gab sie das Trinkgefäß zurück. Wasser war für die Buschmänner etwas ganz Besonderes. Wie hatte sie so unbesonnen sein können? Als Nakeshis Mutter ihr kurz darauf auf einer Holzschale geknackte Mongononüsse anbot, nahm Jella nur eine davon. Doch das war offensichtlich wiederum falsch. Wieder wurde über sie getuschelt. Doch dieses Mal war sich Jella keines Vergehens bewusst. Nakeshi bemerkte die Verlegenheit ihrer Freundin. Sie griff in die Holzschale und nahm alle Nüsse heraus, um sie auf Jellas Schoß zu legen. Mit einer Geste bedeutete sie ihr, zu essen. Artig begann Jella an den Nüssen zu knabbern. Sie schmeckten süß, waren ziemlich nahrhaft und stillten ihren
Hunger sofort. Seit dem Schlangenmahl hatten die beiden Frauen sich nur von ein paar Beeren ernähren können, die Nakeshi unterwegs gesammelt hatte. Eine Zeit lang hatte sie befürchtet, dass sie bis ans Ende ihrer Tage durch den Busch wandern müsste und nie an ein Ziel kommen würde. Nakeshi hatte hin und wieder die Richtung geändert und schien planlos durch die Savanne zu laufen. Erst später hatte Jella verstanden, dass jeder kleine Umweg kluge Absicht gewesen war. Mal umgingen sie eine unpassierbare Schlucht, mal fanden sie ein paar Beeren, oder sie begaben sich an einen Ort, an dem Nakeshi nach Wasser grub. Jella war fasziniert. Die junge Buschmannfrau schien jede Pflanze, jedes Tier und jede Wasserstelle in dieser unwirtlichen Gegend zu kennen. Mit traumwandlerischer Sicherheit hatte sie sie durch die Waste geführt. Jella hatte erfahren, dass sie der jungen Frau blind vertrauen konnte. Mit jedem Schritt, den sie gemeinsam durch die Wüste taten, wuchs ihr Nakeshi enger ans Herz.
Nüsse kauend überließ sie sich dieser fremden Welt. Die kleinen Menschen unterhielten sich in ihrer perlenden, schnalzenden Sprache und gaben ihr ein Gefühl großer Sicherheit. So wie es aussah, bestand innerhalb der Gruppe ein großer Zusammenhalt. Jeder interessierte sich für jeden und war Teil eines größeren Organismus, in dem alle aufeinander achteten. Sie spürte die neugierigen Blicke der Menschen auf sich ruhen; wenn sie
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