Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari
so eine Vermutung«, meinte Jella betont lässig. »Ich glaube einfach, dass Pischke in nächster Zeit anderes zu tun hat, als uns zu quälen.«
»Ach ja?« Rachel zog ihre Stirn in Falten. »Und was gibt dir Anlass, so zu denken?«
»Nichts Bestimmtes, aber schließlich gibt es ja auch noch andere Mieter als uns, die er quälen kann. Zum Beispiel die Kruses oder die Pawlowskis oder die...«
»Vielleicht hast du ja recht!« Rachel schien mit ihren Gedanken schon wieder ganz woanders zu sein. In letzter Zeit war sie oft so nachdenklich gewesen. Jella kam sie dann immer so fremd vor. Sie fühlte sich von ihr ausgeschlossen, und das machte ihr Angst.
»Ist was?« In ihrer Frage schwang ängstliche Besorgnis mit. Rachel legte ihre Näharbeit beiseite und streckte ihre Hand nach ihrer Tochter aus. »Vielleicht sollten wir reden«, sinnierte sie. Jella
schaute auf die Standuhr auf dem Büfett. »Lass uns später reden, wenn ich zurück bin.«
Rachel schüttelte energisch den Kopf. »Es dauert nicht lange. Ich möchte, dass du weißt, was mir immer wieder durch den Kopf geht. Wer weiß, wie lange...«
Ein plötzlich einsetzender Hustenanfall erfasste ihren so zerbrechlich gewordenen Körper mit einer Wucht, die Jella Angst machte. Sie eilte sofort herbei, um ihrer Mutter etwas Wasser von der Steingutkaraffe auf dem Tisch in ein Glas zu gießen. Doch Rachel winkte ab und hustete weiter in ein Taschentuch, das sie sich vor ihren Mund hielt. Hilflos stand Jella daneben. Als der Anfall endlich vorüber war, sah sie, dass das Tuch voller Blut war.
»Ich hole sofort den Arzt«, rief sie panisch und rannte zur Tür. Doch Rachel hielt sie zurück.
»Komm zu mir«, forderte sie sie mit schwacher Stimme auf. »Mir geht es schon wieder besser!« Jella gehorchte nur widerwillig. Zuvor träufelte sie ein paar Tropfen Medizin auf einen Löffel und gab ihn ihrer Mutter. Rachel schluckte sie gehorsam. Dann nahm Jella die Hand ihrer Mutter und streichelte sie zärtlich. »Ruh dich erst ein wenig aus«, bat sie. »Du bist so schwach.«
»Ich werde gleich genügend Zeit haben, mich auszuruhen!«, protestierte Rachel. Ein neuer Anfall durchfuhr ihren Körper. Jella tat es in der Seele weh, wie ihre Mutter sich quälte. Sie fühlte sich so hilflos, weil sie nichts tun konnte. Wann würde die Medizin endlich Wirkung zeigen?
»Setz dich zu mir!« Endlich hatte sich ihre Mutter beruhigt.
»Es geht um deinen Vater«, antwortete Rachel zu Jellas Überraschung. »Da gibt es etwas, das ich dir sagen muss.«
»Über meinen Vater gibt es nichts mehr zu sagen«, sagte Jella verbittert. »Er ist entweder tot oder will nichts mehr von uns wissen. Warum sollten wir uns noch über ihn Gedanken machen?«
Rachel sah Jella mit ihren graugrünen Augen traurig an. In ihrem kastanienbraunen Haar waren in den letzten Wochen die ersten Silberfäden erschienen. Jella entdeckte sie zum ersten Mal.
»Du tust deinem Vater unrecht«, behauptete Rachel ernst. »Er ist nicht tot, und er hat uns auch nicht im Stich gelassen.«
»Wie bitte?« Jella war von Rachels Worten vollständig überrumpelt. »Woher willst du das wissen? Und warum hast du mir nicht früher davon erzählt?«
»Ich habe es dir verschwiegen, weil ich es dir leichter machen wollte. Sieh mal, ich weiß ja selbst nicht, was mit Johannes geschehen ist. Ich weiß nur eines, dass ich immer noch jede Nacht von deinem Vater träume. Er ist so lebendig darin, dass er gar nicht tot sein kann. Wir unterhalten uns sogar über dich. Johannes möchte dich kennenlernen!«
Rachel lächelte rätselhaft und sah an ihrer Tochter vorbei ins Leere.
Jella war total perplex.
»Ich bin nicht verrückt«, erriet Rachel ihre Gedanken. »Aber die Liebe zwischen deinem Vater und mir ist etwas ganz Besonderes. Wir hatten eine starke Verbindung zueinander - und haben sie immer noch. Wenn er tot wäre oder mich vergessen hätte, dann hätte ich das gespürt.«
»Und warum hat er dann nie etwas von sich hören lassen? Er hat uns nie geschrieben oder sonst eine Nachricht geschickt.« Jella spürte, wie sie das Gespräch aufzuwühlen begann. Warum fing ihre Mutter ausgerechnet jetzt von ihrem Vater an? Was war das für ein Gerede über Verbindungen, die doch gar nicht real waren?
»Du denkst, dass ich mir das alles nur einbilde.« Auf Rachels Gesicht erschien ein heiteres Lächeln. »Dennoch weiß ich, dass er noch lebt und an uns denkt. Vielleicht hat er ja versucht, sich zu melden, aber seine Briefe haben uns nie
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