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Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari

Titel: Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Mennen
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erreicht.«
    Sie drückte Jellas Hand und sah sie eindringlich an.

    »Es ist nur eine Vermutung, aber ich glaube, dass dein Großvater mehr weiß, als er zugibt.«
    »Großvater? Was hat er damit zu tun? Er hasst meinen Vater!«
    Rachel schüttelte den Kopf.
    »Er hasst nicht Johannes, sondern sich selbst, weil er ihm nicht vergeben kann. Ich habe in Erfahrung gebracht, dass er einen Boten nach Afrika geschickt hat, um nach seinem Sohn zu forschen. Aber ich habe trotz aller Bemühungen nie erfahren, was er herausgefunden hat.«
    »Ich verstehe nicht, warum du mir das ausgerechnet jetzt erzählst.« Jella gefiel überhaupt nicht, was sie da gerade hörte.
    »Dein Vater lebt!«, sagte Rachel trotzig. In ihren graugrünen Augen glitzerten ein paar Tränen. Sie sah Jella traurig an. »Die Vorstellung, dass du einmal ganz allein dastehen könntest, kann ich nur schwer ertragen.«
    Angst griff plötzlich mit spinnenlangen Armen nach Jellas Herz. Was zum Kuckuck redete ihre Mutter da für einen Unsinn! Sie tat ja gerade so, als würde sie nicht mehr lange leben. Alles würde gut werden, da war sie ganz sicher. Der Arzt hatte selbst gesagt, dass die Medizin ihrer Mutter guttun würde. »Rede nicht solche Sachen, Mama«, flehte sie verzweifelt. »Wir haben jetzt Medizin, und die wird dich heilen. Du musst nur etwas Geduld haben. Du siehst in letzter Zeit einfach zu schwarz. Hab Vertrauen!«
    Rachel zog ihre Hand aus Jellas und streichelte über ihre Wangen. »Sicher, mein Kind«, beruhigte sie sie. »Alles wird gut werden. Ich wollte nur... du sollst wissen, dass ich glaube, dass dein Vater noch am Leben ist. Das soll dir Mut machen. Mehr nicht.«
    Jella stand auf. »Ich glaube, ich mache mich jetzt mal auf den Weg.« Ziemlich verwirrt verließ sie die Wohnung.
     
    Der Weg nach Charlottenburg war weit. Zwar führte die Stadtbahn vom Schlesischen Bahnhof direkt dorthin, doch Jella fehlte
das Geld für die Fahrt. Notgedrungen machte sie sich zu Fuß auf den Weg, passierte die Holzmarktstraße, querte die Spree an der Jannowitzer Brücke und steuerte über den Spittelmarkt und die Leipziger Straße auf den Tiergarten zu. Die Sonne stand noch nicht sehr hoch, aber dennoch überzog sie Berlin wie flüssiges Blei. Es war ungewöhnlich schwül, und die Luft um sie herum war gewittrig aufgeladen. Trotz der Hitze schritt Jella zügig aus. Nach etwa einer Stunde befand sie sich in der Nähe der Villa ihres Großvaters. Von dort aus war es ungefähr noch einmal so weit bis nach Charlottenburg. Kaum vorstellbar, dass das Anwesen bis vor wenigen Monaten noch ihr Zuhause gewesen war. Es war eines von mehreren stattlichen Herrschaftssitzen, die sich wie kostbare Perlen an einer Schnur aneinanderreihten. Die dreistöckigen Villen waren von großen Gärten mit hohen Bäumen umgeben. Die meisten von ihnen hatten Stallungen und eine eigene Remise für die Kutschen. Von dem bewaldeten Tiergarten wehte immer eine angenehme leichte Brise herüber, sodass es selbst im Sommer nie zu heiß wurde. Auf der Straße hörte man das Getrappel von Pferdekutschen auf dem groben Kopfsteinpflaster. Jella musste an die sonntäglichen Ausfahrten mit ihrem Großvater denken. Mit der Regelmäßigkeit eines Uhrwerks war am Sonntagmorgen Punkt zehn Uhr angespannt worden, woraufhin die Kutsche den immer gleichen Weg nahm. Die Tiergartenstraße hoch bis zum Kemperplatz und von dort links ab in die Bellevueallee bis zum Kleinen Stern. Dort wieder links bis zum Großen Stern, um dann über die Hofjägerallee wieder zurück nach Hause zu fahren. Und genau das war jetzt ihr Problem. Es war genau zehn Uhr. Wenn sie nicht wie ein Schießhund aufpasste, war die Wahrscheinlichkeit ziemlich groß, dass sie dem alten Baron begegnete. Sie konnte sich sein schadenfrohes Gesicht nur zu gut ausmalen, wenn er sie in ihrem standesunwürdigen Aufzug erblicken würde. Diesen Triumph wollte sie ihm unter keinen Umständen gönnen. Also beschloss
sie, den verschlungenen Nebenwegen quer durch den Tiergarten zu folgen. Zwar war die Strecke etwas länger, aber auf der anderen Seite genoss sie auch die Ruhe und die Natur um sich herum. Abseits der belebten Hauptwege war der Tiergarten lauschig und grün. Die Vögel zwitscherten in den Zweigen, und Jella verspürte Lust, ebenfalls mitzusingen. Hin und wieder beobachtete sie Liebespärchen, die zwischen den Bäumen auf ein paar ungestörte Minuten hofften. Die Lichtungen im Park waren von Familien oder kleineren Gesellschaften belegt. Sie

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