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Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari

Titel: Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Mennen
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eine Männerhand winkte sie zu sich herein. Jella ließ sich nicht zweimal bitten. Ohne nachzudenken, nahm sie das Angebot an und stieg zu dem Unbekannten in die Kutsche. Erst als sie tropfnass auf dem Ledersitz der Kutsche
saß, wurde ihr klar, dass ihr Entschluss recht leichtsinnig gewesen war. Kein vernünftiger Mensch stieg in eine fremde Kutsche! Doch ihre Sorge war unbegründet. Ihr gegenüber saß ein bärtiger, freundlicher Herr mittleren Alters, der sie neugierig musterte.
    »Na, junges Frollein?«, berlinerte er. »Da sind Se aber janz schön ins Jewitter jekommen! Sehn ja aus wie’n bejossener Pudel!« Seine tiefliegenden kleinen Augen blitzten sie spitzbübisch an. Jella fasste unwillkürlich an das grüne Ding auf ihrem Kopf, das einmal ihr Hut gewesen war. Sie zog ihn herab. Die schöne Pracht war unrettbar dahin.
    »Nu schaun Se ma nich so miesepetrich«, tröstete er sie. »Wenn se der Blitz jetroffen hätte, wär’n se schlimmer dran jewesen!« Jella musste lachen. Ihr Gegenüber hatte einen seltsamen Humor! Er war ihr auf Anhieb sympathisch.
    »Darf ich Sie mit in die Stadt nehmen?«, bot er ihr ritterlich an und gab gleichzeitig durch ein Klopfen dem Kutscher das Zeichen, wieder anzufahren. Jella hatte nichts dagegen. Erst jetzt fielen ihr die Kladde und der Zeichenstift auf dem Schoß ihres unbekannten Gönners auf. Der Mann bemerkte ihren neugierigen Blick und schmunzelte.
    »Ich bin der Heinrich Zille«, erklärte er und tippte kurz an seinen Hut. »Im Kiez nennt man mich auch den Pinselheinrich, obwohl ich gar kein Maler bin, nur Zeichner, Witzblattzeichner, der Ernst in Scherz bringen muss.« Jella hatte schon einiges über den kauzigen Zeichner gehört. Der Mann hatte eine ordentliche Arbeit in der Photographischen Gesellschaft Berlin und zog regelmäßig nach Feierabend durch die ärmsten Gegenden von Berlin, um die Menschen in ihren alltäglichen Situationen zu zeichnen. Kein Wunder, dass er deshalb auch von vielen der »Arme-Leute-Maler« genannt wurde.
    »Darf ich mal sehen?«, fragte sie neugierig. Zille schmunzelte, öffnete aber die Kladde bereitwillig und zeigte ihr ein paar Zeichnungen.
Jella war fasziniert. In wenigen, kräftigen Strichen waren Szenen dargestellt, wie man sie treffender nicht hätte darstellen können. Jede Zeichnung erzählte eine Geschichte und war kommentiert, mal humorvoll, mal ironisch, mal sarkastisch, aber immer passend. Zille liebte die Menschen, das spürte man, aber er zeigte auch ihre Schwächen und ihr Elend. Kurz und gut, er verstand es, dem einfachen Berliner ins Herz und in die Seele zu schauen. Er kannte die Leute, war selbst Teil ihres Lebens. Ein Blatt zeigte einen Arbeiter mit seiner Geliebten im Arm. Auf seinem Rücken hing eine Pulle Schnaps. Zille hatte etwas Hintersinniges daruntergekritzelt: »Seit ick die Liebe kenne - hab ick dem Alkohol den Rücken jekehrt.« Oder die Darstellung der drei Arbeitslosen in einer Destille. Die Kinder der Wirtin sitzen an einem kleinen Tisch und machen Hausaufgaben. Darunter stand: Der Philosoph - »Kinder, lernt nischt, sonst müsst ihr arbeeten!« Oder die schockierende Zeichnung einer unglücklichen Frau, die mit ihrem Kind auf dem Arm in Richtung Landwehrkanal geht, um zu sterben. Der Untertitel: Ins Wasser - »Mutter, isses ooch nich kalt?« - »Sei ruhig - die Fische leben immer drin.«
    »Das ist ja - erstaunlich!« Jella war von den Zeichnungen beeindruckt. Vieles von dem, was sie in den letzten Monaten erlebt hatte, wurde in Zilles Blättern verdeutlicht. »Sie sehen den Menschen ja in die Seele!«, meinte sie bewundernd.
    »Nee«, Zille schüttelte den Kopf. »Ich schaue nur hin und versuche mit meinen Zeichnungen das Elend ein wenig erträglicher zu machen.«
    »Und woher kennen Sie die Leute im Kiez so gut?«
    »Ich bin selber aus dem ›Miljöh‹. Ist noch gar nicht so lange her, dass wir in einer feuchten, verwanzten Kellerwohnung am Schlesischen Bahnhof gewohnt haben. Das kann sich so ein feines Fräulein wie Sie gar nicht vorstellen.«
    »O doch«, lachte Jella. »Sie wissen ja gar nicht wie gut! Da wohnen wir nämlich auch.«

    »Sie?!« Zille musterte Jella genauer. »Entschuldigen Sie, Fräulein, dass ich das nicht glaube, aber die Qualität ihrer Kleidung lässt ganz und gar nicht auf ein Leben im Kiez schließen. Und die Art, wie Sie sich benehmen, auch nicht.«
    Jella lachte bitter auf. »Das müsste jetzt mein Großvater hören. Er war immer der Meinung, dass ich ein unbezähmbarer

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