Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari
verstaubten Laden nicht in Schwung bringt, fress ich einen Besen!«
Die Destille Zur letzten Instanz war eines der ältesten Gasthäuser von Berlin. Ihren Namen hatte sie wegen des Justizgebäudes erhalten, das sich ganz in der Nähe befand. Es ging das Gerücht, dass Gerichtsfälle, die sich nicht unter dem Dach des ehrwürdigen Justizgebäudes entscheiden ließen, ihre Lösung bei einem oder mehreren Gläsern Bier an der Theke oder den Tischen der Destille finden konnten. Ausschlaggebend für die Namensgebung soll ein Ehepaar gewesen sein, das sich hatte scheiden lassen wollen. Weil sie etwas zu früh bei Gericht erschienen waren, hatte man sie in die nahe gelegene Destille geschickt. Bei einem gemütlichen Glas Bier legten die beiden ihre Streitigkeiten bei und versöhnten sich wieder. Nicht das Gericht, sondern die Destille war so zur letzten Instanz in ihrer Ehe geworden.
Das Publikum in der Letzten Instanz war bunt gemischt. Handwerker, Arbeiter, Bauern, die etwas in der Stadt zu erledigen hatten,
aber auch Bürger, mit und ohne Frauen, und hin und wieder ein Amtsrat oder sogar ein Staatsanwalt schauten nach Feierabend gern auf ein oder mehrere Glas Bier herein. Sie debattierten über das, was in der Zeitung stand, spielten Karten, rauchten oder aßen Eisbein mit Sauerkraut.
Für Jella gab es weit Schlimmeres als die Arbeit in der Destille. Das Bedienen lag ihr weitaus mehr als die Näharbeiten, die sie und Rachel noch zusätzlich zu erledigen hatten. Nach ein paar Tagen hatte sie sich gut eingearbeitet. Den Gästen gefiel ihre muntere Art, was sich auch prompt auf den Umsatz auswirkte. Nur Gustav, der Wirt, schien das mit seiner mürrischen Art noch nicht zur Kenntnis genommen zu haben. Der Wirt verhielt sich ihr gegenüber immer noch skeptisch und unfreundlich. An allem hatte er etwas herumzunörgeln. Nichts ging ihm schnell genug.
»Jella, nu mach doch mal«, schimpfte er zum Beispiel. »Siehste nicht, dass die Leute da hinten noch nichts zu trinken haben?« Jella machte sich nichts aus seiner schlechten Laune. Allerdings blieb sie ihm nie eine Antwort schuldig.
»Was denken Sie, was ich gerade mache?«, blaffte sie zurück. »Die Limonade, der Wein und die zwei Bier sind genau für die Herrschaften dahinten.«
»Mmpf«, brummelte Gustav dann vor sich hin. In Wahrheit hatte er Jella schon längst in sein Herz geschlossen. Er war mehr als zufrieden mit ihrer Arbeit. Sie war schnell, fleißig, und abends stimmte die Kasse. Außerdem kamen mittlerweile mehr Gäste als früher - und selbst ihm war klar, dass das nicht von seinem Eisbein oder seinem Bier, sondern von der schlagfertigen und stets gut gelaunten neuen Bedienung herrührte.
Öfters, meist am späten Nachmittag, kam Heinrich Zille in die Destille. Er war hier Stammgast und trank nach Feierabend gern noch ein Glas Bier oder eine Molle, um nebenbei Gustavs Gäste zeichnen zu können. Jella hätte sich zu gern zu ihm gesetzt und
ihn dabei beobachtet, aber Gustav wachte mit Argusaugen darüber, dass sie die anderen Gäste nicht vernachlässigte.
»Nun sei mal nicht so ein Leuteschinder«, zog Zille den Wirt eines Tages auf. »Gönn Jella auch mal eine kleine Pause. Ich möchte ihr was zeigen.« Widerwillig gab der Wirt seine Erlaubnis.
»Aber dass mir das nicht einreißt! Die Jella wird nicht fürs Herumgesitze bezahlt.«
Jella war dankbar für die kleine Pause. Ihre Füße fühlten sich vom vielen Gerenne schon wie Pflastersteine an. Sie setzte sich zu ihrem Gönner an den Tisch und blies sich eine ihrer roten Strähnen aus dem Gesicht.
Zille nickte ihr aufmunternd zu, während er einen kräftigen Zug aus seinem Bierglas nahm.
»Na, mein Frollein, nu haste dir aber janz schön einjewöhnt, wa?«, meinte er auf seine direkte Berliner Art. »Hat der Gustav seine Macken wenigstens im Griff?«
Jella lachte. »Der Gustav ist schon in Ordnung. Er lässt mich zwar bis zum Umfallen schuften, dafür bezahlt er mich anständig und gibt mir auch hin und wieder was zu essen mit nach Hause. Ich kann nicht klagen.« Zille nickte zufrieden und schob ihr ein Blatt hinüber, auf das er eine rasch hingeworfene Federzeichnung gekritzelt hatte.
»Wie gefällt dir das?«
Jella schmunzelte, während sie die Zeichnung betrachtete. Zille hatte die beiden Trinker am Nachbartisch porträtiert. Ein alter Spreekapitän mit Schiffermütze und grauem Rauschebart saß über die Zeitung gebeugt und las daraus vor. Ihm zur Seite saß ein Zigarre rauchender Mann mit
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