Der Ruf der Kalahari - Mennen, P: Ruf der Kalahari
zu schweben. Plötzlich besann er sich, drehte wieder um und kam zu Jella zurück.
»Welche Therapie bekommt Ihre Mutter?«, wollte er wissen. Schlagartig war er wieder ganz der praktische Arzt und nicht mehr der theoretisierende Wissenschaftler. Jella zuckte mit den Schultern. Sie nannte ihm den Namen der teuren Medizin, die ihre Mutter seit einigen Wochen erfolglos einnahm. Professor Koch schüttelte unwillig den Kopf.
»So ein Unsinn! Das Mittel unterdrückt lediglich oberflächliche Hustenreize und sorgt dafür, dass sich noch mehr Schleim in den ohnehin kaputten Bronchien verfängt. Sie können sich das viele Geld getrost sparen.«
»Wir haben kein Geld, um sie in einer der teuren Lungenheilanstalten unterzubringen«, seufzte Jella bekümmert. Sie wusste selbst, dass sie viel zu wenig für die Gesundheit ihrer Mutter taten, aber was hätten sie schon tun können?
»Es gibt Waldheime, die das Kaiserliche Gesundheitsamt außerhalb von Berlin errichtet hat. Dorthin könnte Ihre Mutter«, schlug Doktorand Gröhner vor.
Jella schüttelte traurig den Kopf. »Meine Mutter würde niemals dorthin gehen. Sie misstraut diesen Einrichtungen und würde mich niemals allein lassen.«
Professor Koch wedelte ungeduldig mit seiner Hand. Er schien unzufrieden.
»Gröhner«, befahl er schließlich dem jungen Doktoranden. »Wie sehr ist unsere Klinikabteilung belegt?«
Jella sah den Arzt fragend an. Doch anstatt zu antworten, beugte sich der berühmte Wissenschaftler über das Exponat unter Gröhners Mikroskop und betrachtete es eingehend. Etwas gekränkt, weil er sie so einfach stehen ließ, machte sich Jella wieder an ihre Aufgabe und räumte im Nachbarraum die desinfizierten Phiolen und Fläschchen in die dafür vorgesehenen Glasschränke ein. Seit beinahe drei Wochen arbeitete sie nun schon in dem Königlich-Preußischen Institut für Infektionskrankheiten und dem daran angeschlossenen Krankenhaus. Allerdings hatte sie sich ihre Arbeit wesentlich interessanter vorgestellt. Anstatt zu forschen und zu lernen, hatte sie vorwiegend Putzarbeiten zu erledigen. In der ersten Woche hatte sie nur die Böden wischen und desinfizieren müssen. Mittlerweile ließ man sie immerhin die Gläser und komplizierten Apparaturen reinigen, auch wenn ihr meistens einer der Assistenten dabei misstrauisch über die Schulter sah. Sie wusste, dass die Laborgegenstände sehr wertvoll waren. Die rundbauchigen Flaschen, Phiolen und Zylinder waren alle mundgeblasen und in ihrer Art einzigartig. Dennoch kränkte es sie, dass man sie für solch einen Trampel hielt, der unfähig war, anspruchsvollere Aufgaben zu erledigen. Viel lieber wollte sie wie Doktorand Gröhner in die Welt der Mikroorganismen abtauchen und forschen. Wie lange der Weg. bis dorthin dauern würde, stand offensichtlich noch in den Sternen.
Mit einem lauten Seufzer machte sie sich weiter ans Einräumen. Nebenbei bekam sie mit, wie sich Professor Koch leise mit Gröhner unterhielt. Ab und zu warf er ihr einen amüsierten Blick zu, woraufhin sie schnell wegsah. Schließlich verließ er grußlos das Labor. Gröhner hatte sich bereits wieder an seine Arbeit gemacht und notierte eifrig seine Beobachtungen. Eine halbe Stunde später war sie mit ihrer Arbeit fertig. Sie sah auf die große Standuhr neben der eichenholzvertäfelten Tür. Es war schon nach fünf
Uhr. Sie musste sich beeilen, um rechtzeitig in die Letzte Instanz zu kommen. Gustav würde ohnehin wieder sauer sein, weil sie zu spät kam. Zum Glück hatte er sie mittlerweile richtig in sein Herz geschlossen. Die Arbeit in der Destille war für sie und ihre Mutter lebensnotwendig. Im Moment stellte sie ihr einziges Einkommen dar. Eilig band sie ihre weiße Schürze auf und legte sie zusammen mit dem weißen Häubchen in den dafür vorgesehenen Wäschekorb. Die Regeln des Instituts sahen aus Gründen der Hygiene vor, dass jeder Mitarbeiter jeden Tag eine frische Schürze und ein sauberes Häubchen trug. Auf dem Weg zum Ausgang wurde sie von Gröhner aufgehalten.
Seine kleinen Augen blitzten schelmisch auf. »Fräulein von Sonthofen«, sagte er wichtig. »Ich habe Ihnen etwas mitzuteilen.« Jella runzelte verständnislos die Stirn. Jetzt grinste er von einem Ohr bis zum anderen. »Der Institutsleiter Professor Koch hat Sie soeben zu meiner Assistentin gemacht. Ab morgen werden Sie gemeinsam mit mir die Befunde sichten und dokumentieren.« Jellas Augen leuchteten auf. Am liebsten wäre sie dem jungen Mann um den Hals gefallen.
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