Der Ruf der Kiwis
hinein, wobei sie selbst über das Ergebnis erschrak. Der
koauau
entrang sich eine Art Stöhnen, das dann zu einem Schrei wurde. Unmelodisch, aber Gloria ließ die Flöte dennoch nicht sinken. Dafür nahm Marama die
nguru
, führte sie an den Mund und begann, einen Rhythmus dazu vorzugeben. Eine wilde, aufrührende Melodie ... Gloria fuhr zusammen, als jemand begann, dazu den
pahu pounamu
, auch ein typisches Musikinstrument der Maoris, erklingen zu lassen. Die Mädchen Ani und Heremini schienen das Signal zu verstehen, erhoben sich und begannen wieder zu tanzen. Sie waren noch klein, der Kriegs-
haka
gelang ihnen nicht sonderlich martialisch, aber sie zeigten die selbstbewussten Bewegungen der Maori-Kriegerinnen von einst.
»Führt Kura diesen
haka
auf, oder woher kanntest du ihn?«, fragte Marama ihre Enkelin. »Es ist ein sehr altes Stück – aus der Zeit, als Maori-Männer und -Frauen noch gemeinsam kämpften. Eher auf der Nordinsel verbreitet.«
Gloria errötete. Sie hatte den Tanz vorher nicht gekannt, den Ton wohl mehr zufällig getroffen. Aber die
koauau
hatte ihre Wut herausgeschrien – und Marama hatte sie in den Kampf geleitet. Es war seltsam: Gloria hatte das Gefühl, Musik nicht gemacht, sondern gelebt zu haben.
»
Kia ora
, Töchter! Muss ich mich fürchten? Ist ein Krieg ausgebrochen?« Eine dunkle, volle Stimme klang aus der beginnenden Dämmerung, und Rongo Rongo trat ins Licht des Feuers, das Wiremu inzwischen entzündet hatte.
»Ich muss mich wärmen, Kinder, lasst mich ans Feuer ... wenn ihr es nicht gerade braucht, um Speerspitzen zu härten.« Sie rieb ihre kurzen, kräftigen Finger über dem Feuer. Hinter ihr erkannte Gloria Tonga, den Häuptling. Sie erschrak. Seit ihrer Heimkehr hatte sie Tonga noch nicht wiedergesehen, und das dunkle, tätowierte Gesicht des für einen Maori hochgewachsenen Mannes machte ihr beinahe Angst.
Aber Tonga lächelte. »Sieh an, Gloria ... die Tochter derer, die mit der
Uruao
und der
Dublin
nach Aotearoa kamen.«
Gloria errötete wieder. Sie kannte das Vorstellungsritual der Maoris – bei wichtigen Anlässen nannte man das Kanu, mit dem seine Vorfahren einst in Neuseeland angekommen waren. Das war natürlich Hunderte von Jahren her. Glorias
pakeha
-Ahnin Gwyneira war dagegen erst gut sechzig Jahre zuvor mit der
Dublin
nach Neuseeland gereist.
»Bist du nun hier, um dein Erbe in Besitz zu nehmen? Das der Ngai Tahu oder das der Wardens?«
Gloria wusste nicht, was sie erwidern sollte.
»Lass sie in Ruhe!«, sagte Marama. »Sie ist hier, um mit uns zu essen und zu reden. Hör nicht auf ihn, Gloria. Hilf lieber Wiremu und den Mädchen, den Fisch zuzubereiten.«
Gloria floh dankbar zu dem Bachlauf, der am Dorf entlangfloss. Sie hatte keine Fische mehr ausgenommen, seit sie ein kleines Mädchen war und bei Jack angeln gelernt hatte. Zuerst stellte sie sich ungeschickt dabei an, aber zu ihrer Verwunderung lachten die anderen Mädchen nicht über sie. Wiremu gesellte sich zu ihr, um ihr zu zeigen, wie es ging. Gloria rückte von ihm ab.
»Willst du lieber Süßkartoffeln ausgraben?«, fragte ein älteres Mädchen namens Pau, dem Glorias Rückzug aufgefallen war. »Dann komm mit mir.«
Pau stieß sie kameradschaftlich an, als sie aufs Feld gingen.
»Wiremu mag dich wohl?«, lachte sie. »Er kocht sonst nicht mit uns, sondern spielt den großen Krieger. Aber heute ... und dein Pferd hat er auch versorgt ...«
»Ich mag ihn aber nicht!«, sagte Gloria schroff.
Pau hob abwehrend die Hände. »Nicht böse sein, ich dachte nur ... Er ist ein guter Kerl und der Sohn des Häuptlings. Die meisten Mädchen würden ihn mögen.«
»Er ist ein Mann!«, brach es aus Gloria heraus, als sei damit jedes Urteil gefällt.
»Ja«, sagte Pau gelassen und gab Gloria eine Schaufel. »Grab in dem Beet da rechts. Und nimm die Kleineren, die schmecken kräftiger. Wir waschen sie dann im Bach ...«
»Hack nicht auf dem Mädchen herum, Tonga. Aber besten lässt du sie ganz in Ruhe. Sie hat viel durchgemacht ...« Rongo Rongo sah Gloria nach, als sie mit den anderen Mädchen wegging, um das Essen zuzubereiten.
»Sagen dir das die Geister?«, erkundigte sich Tonga zwischen Spaß und Ernst. Er respektierte Rongo, aber so gern er sich auch auf Stammestraditionen berief: Die Zwiesprache mit den Geistern seiner Ahnen funktionierte bei ihm nicht häufiger als bei seinem Sohn.
Rongo Rongo verdrehte die Augen. »Das sagt mir die Erinnerung an den
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