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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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Highlands, gab es keine feindlichen Stämme. Niemand bedrohte die Ngai Tahu. Aber sie sollte vielleicht aufhören, wie eine 
pakeha
 zu denken.
    Über die Strapazen der Reise hatte Gloria sich vor dem Aufbruch keine Gedanken gemacht. Sie hielt sich für zäher als alle anderen; schließlich hatte sie die Wüste Australiens durchquert, und das oft genug auf eigenen Füßen. Aber damals hatten ihr Wille und ihre Verzweiflung sie angetrieben; sie war gefühllos gewesen, nur von ihrem Ziel beseelt.
    Die Canterbury Plains jedoch, die jetzt langsam in die Vorläufer der Südalpen übergingen, waren anders. Hier war es nicht trocken und heiß, sondern feucht und kalt – zumindest kam es den durchnässten Wanderern so vor. Schon nach wenigen Stunden Wanderung hatte der Regen eingesetzt, und Glorias Jacke, ihr Hemd und ihre Breeches waren binnen kürzester Zeit völlig durchweicht. Den Maoris ging es nicht anders, aber nur, weil es regnete, brachen sie den Marsch nicht ab. Erst am Abend wurden die provisorischen Zelte errichtet, und die Frauen machten den Versuch, Feuer zu entfachen. Das Ergebnis war nicht befriedigend.
    Schließlich kuschelten die Menschen sich Wärme suchend aneinander – nur Gloria zog sich beinahe erschrocken zurück und wickelte sich abseits in ihre klamme Decke. An die Übernachtungen im Gemeinschaftszelt hatte sie vorher nicht gedacht – dabei wusste sie natürlich, dass der Stamm auch zu Hause ein Schlafhaus teilte. Nun lag sie stundenlang wach und hörte auf die Schlafgeräusche der Menschen, ihr Stöhnen, Schnarchen – manchmal auch ein verstohlenes Kichern und die unterdrückten Lustschreie eines sich liebenden Paares. Gloria wäre am liebsten geflohen, aber draußen regnete es nach wie vor.
    Das schlechte Wetter hielt auch während der nächsten Tage an. Gloria fragte sich flüchtig, wie Gwyneira und ihre Leute das Heu einbringen wollten, wenn das so weiterging. Ansonsten hatte sie aber genug mit ihren eigenen Problemen zu tun. Ihre Schuhe – Jodhpur-Stiefel, die sie eigentlich immer für sehr geeignet zum Reiten und für die Farmarbeit empfunden hatte – lösten sich in der ständigen Feuchtigkeit langsam auf. Die Maoris lachten darüber. Sie liefen barfuß und empfahlen das auch Gloria. Schließlich schälte sie sich wirklich aus den nassen Stiefeln, doch an längere Wanderungen auf nackten Füßen war sie erst recht nicht gewöhnt. Sie fror und fühlte sich schrecklich.
    Am fünften Tag verstand sie endgültig nicht mehr, wie sie ihr ruhiges, trockenes Zimmer auf Kiward Station dafür hatte aufgeben können. Dankbar nahm sie die Plane entgegen, die Wiremu ihr schließlich brachte und die wenigstens ein bisschen Schutz vor dem Wetter bot. Der junge Maori wirkte genauso unzufrieden und verfroren wie sie, auch wenn er das natürlich nicht zugab. Aber auch Wiremu hatte 
pakeha
-Erziehung genossen. Die Jahre im Internat in Christchurch waren nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Gloria meinte fast zu spüren, dass auch er seine Entscheidungen bereute. Er hatte Arzt werden wollen, aber jetzt lief er mit seinem Stamm durch die Wildnis. Sie warf einen Blick auf Tonga, der seinen Leuten unbeirrt vorausschritt.
    »Können wir nicht früher rasten?«, fragte Gloria verzweifelt. »Ich verstehe nicht, was euch antreibt ...« Sie verstummte, als sie ihren Fauxpas erkannte. Es hätte nicht »euch« heißen sollen. Sie musste lernen, von sich und den Ngai Tahu als »wir« zu denken, wenn sie dazugehören wollte. Und sie wünschte sich doch nichts mehr als dazuzugehören ...
    »Uns gehen die Vorräte aus, Glory«, erklärte Wiremu. »Wir können nicht jagen, bei diesem Wetter wagt sich kein Kaninchen aus dem Bau. Und der Fluss ist zu reißend, da schwimmen die Fische nicht in die Fallen. Also ziehen wir zum Lake Tekapo.«
    Der Stamm zog bereits seit Stunden am Tekapo River entlang, der durch die Regenfälle tatsächlich zu einem reißenden Strom angewachsen war.
    Am See, erklärte Wiremu, würden sie tage-, vielleicht wochenlang lagern. Es gab dort reichlich Fisch und wildreiche Wälder.
    »Wir lagern dort seit undenklichen Zeiten«, lächelte Wiremu. »Sogar der See ist danach benannt – 
po
 heißt Nacht, 
taka
 Schlafmatte.«
    Genau eine solche, möglichst trocken und in einem festen Haus positioniert, hätte Gloria sich jetzt gewünscht, aber sie sagte nichts, sondern versuchte, sich dem Schritt der anderen anzupassen.
    Gegen Abend ließ der Regen endlich nach.
    »Am See regnet es kaum«,

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