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Der Ruf der Kiwis

Der Ruf der Kiwis

Titel: Der Ruf der Kiwis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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auch in dieser Gesellschaft weit mehr Männer als Frauen, und Madame Clarisse’ Mädchen mussten einspringen. Hera wirkte schon ziemlich erhitzt.
    »Sie nimmt aber sicher gern einen Champagner, wenn du sie einlädst«, bemerkte Elaine und stupste Jack ein bisschen in Heras Richtung. »Selbstbedienung bei den edleren Getränken hat Madame bestimmt verboten.«
    Charlene nickte. »Holen Sie das arme kleine Ding ruhig an unseren Tisch, Mr. McKenzie«, ermutigte auch sie. »Sie kann eine Pause gebrauchen.«
    »Das arme kleine Ding?«, fragte Jack. »Gestern machte sie durchaus den Eindruck, als hätte sie hier Spaß.«
    Charlene schnaubte. »Das gehört zum Job, Mr. McKenzie. Oder würden Sie für eine Hure zahlen, die dauernd heult?«
    Jack zuckte die Schultern. »Ich hab noch nie für eine Hure gezahlt«, gab er zu. »Aber wenn die Mädchen keinen Spaß dran haben ... warum tun sie’s dann?«
    Elaine und Charlene, beide nicht mehr ganz nüchtern, brachen in theatralisches Stöhnen aus.
    »Süßer«, sagte Charlene mit der rauchigen Stimme, die Elaine seit der Hochzeit mit Matt nicht mehr von ihr gehört hatte. »Dafür gibt’s ’ne Menge Gründe. Aber von ›Spaß‹ hab ich noch nie gehört.«
    Jack sah sie unsicher an. »Sie ... haben auch hier gearbeitet?«, fragte er befangen.
    »Korrekt, Süßer!«, lachte Charlene. »Und um die Frage gleich vorwegzunehmen: Nein, ich kann nicht Klavier spielen. Ich hab das gemacht, was alle anderen Mädchen gemacht haben.«
    Jack wusste nicht, wo er hinsehen sollte.
    Charlene verdrehte die Augen. »Wenn Sie einen Abscheu vor ehemaligen Huren haben, sollten Sie die Westküste meiden«, bemerkte sie böse. »Madames Mädchen werden fast immer schneller weggeheiratet, als sie Nachschub besorgen kann. Nur Hera, das arme kleine Ding, will keiner. Wenn die Kerle auf Maori-Frauen stehen, heiraten sie eine aus den Stämmen. Die freut sich auch und ist unverbraucht.«
    »Ich empfinde doch keinen Abscheu.« Jack wehrte ab. »Ich denke nur, ein Mädchen hat doch immer die Wahl ...« Er spielte mit seinem Champagnerglas.
    Charlene goss ihm einen Whiskey ein. »Nun trinken Sie schon was Richtiges, das Blubberwasser schmeckt Ihnen doch gar nicht. Und was die Wahl angeht ...«
    »Du kannst natürlich ehrenvoll verhungern«, bemerkte Elaine. »Ich hätt’s wahrscheinlich getan. Ich wäre damals lieber gestorben, als irgendeinen Mann auch nur anzufassen.« Elaine war nach der Ehe mit ihrem gewalttätigen ersten Gatten im Greymouth gelandet.
    »Wenn man dich gefragt hätte, Schätzchen«, lachte Charlene bitter. »Unsere Madame Clarisse zwingt ja keine, aber in den meisten Etablissements haben Männer das Sagen. Und wenn denen ein kleines Ding zuläuft wie du, das offensichtlich was zu verbergen hat und das wahrscheinlich keiner sucht, dann reiten die das erst mal ein. Danach bist du gebrochen, dann tust du alles.«
    Jack nahm einen großen Schluck von seinem Whiskey.
    »Und die kleine Hera«, fuhr Charlene fort, »die haben sie schon verkauft, da war sie noch keine zehn Jahre alt. Die Mutter war Maori, hat sich von irgend so einem Kerl von ihrem Stamm weglocken lassen. Einem Goldgräber. Er schleppte sie von der Nord- auf die Südinsel. Keine Chance, nach Hause zu finden. Als das Gold nicht floss, verkaufte er das Mädchen – und später ihre Tochter. Die hat keiner gefragt, Jack.«
    »Und auch wenn sie dich fragen«, fügte Elaine hinzu. »Also, ich hatte eine Freundin in Queenstown, die hat’s freiwillig gemacht, um die Überfahrt von Schweden zu bezahlen. Da war’s dann einfach die Wahl zwischen zwei schlechten Alternativen ...«
    Jack sah eine Chance zur Widerrede. »Aber Gloria ist als Schiffsjunge rübergekommen. Die musste nicht ...«
    Charlene nahm einen weiteren Schluck Champagner. »Als Schiffsjunge? Den ganzen weiten Weg von England bis Neuseeland?«
    »Von Amerika!«, trumpfte Jack auf.
    Charlene runzelte die Stirn. »Und in der ganzen Zeit hat der Schiffsjunge nie sein Hemd ausgezogen? Von der Unterhose mal ganz abgesehen? Also, ich war ja noch ein Kind, als wir ausgewandert sind. Aber ich erinnere mich gut daran, wie heiß es auf dem Pazifik war. Die Matrosen arbeiteten mit nackten Oberkörpern, und die Männer sprangen zur Abkühlung über Bord und ließen sich an Seilen ein Stück vom Schiff mitziehen. Das war eine Mutprobe, ab und zu ging einer dabei drauf.«
    Jack wollte von den Mutproben der jungen Matrosen nichts hören.
    »Was ... was wollen Sie damit sagen?«, fragte

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