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Der Ruf der Pferde

Der Ruf der Pferde

Titel: Der Ruf der Pferde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Beyrichen
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ohnehin einmal wieder an der Zeit, den alten Silas zu besuchen, er freute sich immer, Ethan zu sehen. Und einen heißen Tee und ein paar Handtücher bekam er dort sicher auch.
    »Auf, Sonny, wir schauen bei den Ponys vorbei!« Er klopfte dem Braunen aufmunternd auf die Kruppe und wendete das Pferd.
    In flottem Trab nahmen sie den Hügel und Ethan probierte sogar einen leichten Galopp, als sie die ebene Talsohle erreichten. Sonny schnaubte zufrieden, wahrscheinlich fröstelte er ebenfalls und genoss daher den schnellen Lauf, um sich wieder aufzuwärmen.
    Die Ponys auf den Koppeln grasten in aller Seelenruhe und ließen sich in stoischer Gelassenheit den Sprühregen auf den Rücken nieseln. Das einzige Zugeständnis, das sie dem Wetter machten, war, dass sie sich vom Wind abkehrten, damit die Nässe sie nicht ins Gesicht traf.
    Da er seine gewohnte Runde abkürzte, benutzte Ethan heute nicht den offiziellen Zufahrtsweg, sondern näherte sich dem Gehöft auf der Rückseite. Er überquerte ein uneingezäuntes Feld, dessen Ende von einer Reihe hoher Nadelbäume markiert wurde. Dicht an dicht standen hier Fichten und Kiefern. Abgestorbene Stämme lehnten schief an gerade noch lebenden Bäumen und der dicke Teppich aus verdorrten Nadeln hatte schon lange jeden Bodenbewuchs erstickt.
    Ethan verspürte keine Lust, zum kalten Regenwasser nun auch noch pikende Fichtennadeln in den Kragen zu bekommen, und lenkte Sonny daher sorgsam um die Bäume herum.
    Die Hufschläge waren auf dem weichen Boden kaum zu hören. Ethan war so darauf bedacht, den Bäumen auszuweichen, dass er keinen Blick für den Hof hatte, der unterhalb der Anhöhe lag. Auch Sonny mochte die tropfenden, stachligen Zweige, an denen sie sich vorbeidrückten, nicht besonders. Er schnaubte unwillig und schlug ärgerlich mit dem Schweif, Ethan hatte alle Hände voll zu tun, um ihn zum Weitergehen zu bewegen. So waren sie schon fast beim Hof angelangt, als Ethan plötzlich abrupt die Zügel anzog.
    Das durfte doch nicht wahr sein!
    Neben der großen Scheune befand sich ein Abreitplatz, wo gerade eine Gruppe Kinder unter der Aufsicht des Reitlehrers ihre Ponys absattelte. Der Sprühregen tat ihrer guten Laune keinen Abbruch, sie lachten und kicherten und die Ermahnungen des Reitlehrers – Damian hieß er, erinnerte sich Ethan – wurden ganz offensichtlich weitgehend ignoriert.
    Doch nicht diese Gruppe zog Ethans Aufmerksamkeit auf sich. Von seinem Standort aus konnte er an der Scheune vorbei direkt auf den Stalleingang blicken. Ein stämmiges sandfarbenes Pony stand dort. Seine vielleicht elf-oder zwölfjährige Reiterin bemühte sich gerade, die Schnallen seines Sattelgurtes zu lösen. Neben ihr beobachtete ein älteres Mädchen mit den Händen in den Jackentaschen ihr ungeschicktes Hantieren. Ihre ganze Haltung drückte ein krampfhaftes Bemühen aus, nicht einzugreifen. Ethan konnte sie nur von hinten sehen, ihr schlichter dunkelblauer Regenmantel verbarg ihre Gestalt, doch der Anblick ihres kurzen blonden Pferdeschwanzes, der feucht über ihren Rücken hing, ließ in ihm ein ungutes Gefühl aufkeimen. Ethan grinste schief. Nein, er irrte sich bestimmt!
    Dann drehte sich das Mädchen um, er konnte ihr Profil erkennen und Ethan wusste, dass sein Argwohn begründet war.
    Schon wieder diese Zicke!
    Verdammt noch mal, verfolgte sie ihn etwa?
    Ethan merkte, wie der Zorn wieder in ihm aufstieg.
    Er war sich dessen bewusst, wie unlogisch seine Reaktion war. Er hatte sich damals in ihrer Gegenwart unmöglich benommen und sich danach über sich selbst geärgert, okay. Objektiv betrachtet, konnte sie ja eigentlich nichts dafür. Und dass sie ihm jetzt immer wieder über den Weg lief, durfte er auch nicht als Verfolgung betrachten, das war ihm klar. Die meisten Mädchen waren verrückt nach Pferden, da war es keine Überraschung, dass sie sich ebenfalls hier auf dem McNair-Hof herumtrieb.
    Warum also ergriff ihn immer wieder die Wut, wenn er sie sah?
    Er wusste die Antwort – es war ihre letzte Bemerkung gewesen, bevor er auf dem Berg kehrtmachte und davonraste.
    Immer noch hörte er ihre Stimme, wie sie sagte: »Reit heim zu Mami!« In seiner Erinnerung schwang ein geradezu höhnischer Beiklang darin mit.
    Der Schmerz war beinahe unerträglich gewesen, noch mehr, weil er so unerwartet kam. Ethan erinnerte sich kaum noch an seinen Heimweg, er wusste nur noch, dass sein Gesicht tränennass war, als er Sonny in den Stall brachte. Und die Scham darüber, dass er wie ein kleines

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