Der Ruf der Pferde
lächelte er sie jedes Mal, wenn sie auftauchte, freudig an.
Doch es war nicht Damian, nach dem Patricia, wenn sie mit Michelle arbeitete, heimlich Ausschau hielt.
Patricia sah Dallis wieder, als sie gerade mit Michelle das Antraben übte. Wie immer bedurfte es großer Überredungskunst, das Mädchen davon zu überzeugen, lieber die Zügel ordentlich in den Händen zu halten und auf ihr Gleichgewicht zu achten, statt sich an Linus’ Mähne festzuklammern. Nach langen Bemühungen und geduldigem Zureden klappte es inzwischen im Schritt einigermaßen – doch sobald sich das Pony in Trab setzte, vergaß Michelle alles, ließ die Riemen fahren und krallte sich verzweifelt in der Mähne fest.
Patricia seufzte zum tausendsten Mal heimlich und überlegte gerade, wie lange es wohl noch dauern mochte, bis Linus am Hals völlig kahl war. Sie war so in Gedanken vertieft, dass sie sich nicht einmal umdrehte, als sie eine Gruppe Reiter hinter sich in den Hof kommen hörte.
Erst als sie aus den Augenwinkeln einen grauen Schatten bemerkte, sah sie auf.
Der Reitertrupp stoppte vor dem Stall, die Jungen und Mädchen saßen mehr oder weniger elegant ab und banden ihre Ponys an den langen Balken, der zu diesem Zweck dort angebracht war. Patricia wusste, dass die Pferde meist zwei oder drei Reit-stunden nacheinander gingen, was bedeutete, dass sie dort aufgereiht ihre nächsten Reiter warteten.
Dallis stand am Ende der Reihe. Das Mädchen, das sie geritten hatte, war bereits gegangen. Patricia zog die Brauen zusammen, als sie gerade noch die eingebildete Zicke von neulich erkannte. Die anderen Reiter beschäftigten sich alle noch mit ihren Tieren und Patricia wunderte sich, wie schnell Madame Schönheitskönigin offenbar mit allem Nötigen fertig geworden war.
Die kleine graue Stute hielt ihren Kopf gesenkt. Sie wirkte so allein und traurig, wie sie da stand, und ihr Anblick rührte Patricia wieder bis ins Innerste.
Ohne nachzudenken, wandte sie sich an Michelle.
»Ich glaub, für diesmal reicht’s«, sagte sie und griff nach Linus’ Trense. »Oder was meinst du?«
Michelles Gesicht leuchtete vor Erleichterung auf und sie murmelte: »Danke.« Patricia sah sie einen Moment lang verwirrt an, dann nickte sie. Immerhin hatte sie das Ende der heutigen Stunde nicht Michelles wegen beschlossen . . .
Doch für Michelle schien es einerlei, sie war nur froh, dass sie es wieder einmal überstanden hatte, und mit überraschender Gelenkigkeit rutschte sie von Linus herunter. Patricia beobachtete, wie das Mädchen sogar relativ energisch nach vorne trat und ihr Pony beim Halfter nahm.
Na sieh mal einer an, dachte Patricia bei sich. Reiten traute sie sich immer noch nicht, aber der Umgang mit dem Pferd selbst verlor offenbar doch langsam und unmerklich seinen Schrecken. Vielleicht war bei ihr ja doch noch nicht Hopfen und Malz verloren...
»Prima hast du es gemacht«, lobte sie Michelle und stellte erstaunt fest, dass sie es sogar ehrlich meinte. Wahrscheinlich hatte sie anfangs einfach zu viel erwartet. Doch nun, da sie tatsächlich winzige Veränderungen bei Michelle bemerkte, erkannte sie, dass jeder Fortschritt einen Erfolg bedeutete – egal welcher Art.
Michelle freute sich über Patricias Lob, das war deutlich.
»Ich gehe, Linus mal absatteln«, sagte sie und strahlte vor Stolz.
Lächelnd schaute Patricia ihr hinterher.
Dann drehte sie sich rasch um.
Die meisten der Kinder beschäftigten sich immer noch mit ihren Ponys, streichelten die Tiere, steckten ihnen Leckerbissen zu und sprachen mit ihnen.
Nur die kleine graue Stute war allein.
Patricia zögerte einen Moment, doch dann gab sie sich einen Ruck.
Dallis schien sie nicht zu beachten, als Patricia vorsichtig herantrat, aber das Mädchen sah, wie die Stute ein Ohr in ihre Richtung drehte.
»Hallo Dallis«, sagte sie leise und ging um das Ende des Balkens herum, damit das Pony sie sehen konnte.
Dallis hob den Kopf ein wenig und unter dem dichten schwarzgrauen Stirnbusch konnte Patrica zwei lebhafte dunkle Augen erkennen, die aufmerksam auf sie gerichtet waren.
Patricia war sonst nicht zaghaft, wenn sie sich einem Pferd näherte, doch irgendetwas brachte sie dazu, diesem Pony gegenüber behutsam vorzugehen. Vorsichtig streckte sie ihre Hand aus und hielt die Luft an, als sie die stacheligen Nüsternhaare auf dem Handrücken spürte. Der warme Atem des Pferdes strich über ihre Haut, als Dallis sie sanft beschnoberte.
»Kennst du mich noch?«, fragte Patricia leise.
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