Der Ruf der Pferde
verspürte erneut Zorn.
Verdammt, sollte das jetzt so weitergehen? Wollte sie überall, wo er hinritt, ebenfalls auftauchen?
Ethan war an diesem Tag früh aufgebrochen, um auszureiten. Den ersten Dämpfer bekam er bereits vor der Haustür, als er dort seinem Vater begegnete und dieser ihm mit Blick auf den geduldig wartenden Hirschhund mitteilte, dass er Laird heute nicht mitnehmen könne.
»Der Hund verlottert mir noch, wenn er dauernd mit dir in der Gegend herumstromert«, stellte Alistair Longmuir mit kalter Stimme fest und musterte dabei seinen Sohn mit dem üblichen missbilligenden Ausdruck.
Ethan schwieg. Aha, ich stromere also den ganzen Tag nur sinnlos herum, dachte er bei sich.
»Er braucht mal wieder ein paar Trainingsstunden«, fuhr Longmuir fort. »Deshalb habe ich ihn bei Woodward angemeldet.«
Das war der Hundetrainer, bei dem sein Vater immer seine Jagdhunde ausbilden ließ, wusste Ethan. Er mochte den Mann nicht, fand seine Art, mit den Tieren umzugehen, zu hart. Es war eine Sache, den Hunden Disziplin und Respekt vor dem Menschen als ihrem Rudelführer beizubringen, aber musste das unbedingt auf Angst basieren?
Er schaute zu Laird hinunter, der zwischen ihnen saß und nach oben blickte. Der Hirschhund hörte seinen Namen, spürte feinsinnig, dass von ihm die Rede war, und verfolgte aufmerksam jedes Wort und jede Bewegung seiner beiden Herren, als ob er sie verstünde. Als er merkte, dass Ethan ihn ansah, wedelte er freundlich mit dem Schwanz.
»In wenigen Wochen geht die Saison für Hirsche los«, sagte der Vater gerade. »Da muss der Hund fit sein, die Rumtrödelei hört also auf. Er ist schließlich kein Schoßhündchen, sondern zum Arbeiten da, und er soll sich sein Futter gefälligst verdienen.«
Ethan hielt Laird zuliebe den Mund. Natürlich machte das Jagen dem Tier Spaß, schließlich gehörte er einer alten Jagdhundrasse an. Laird war unermüdlich im Hetzen von Wild und überdies auch noch ein ausgezeichneter Fährtensucher, was ungewöhnlich war, da für Windhundrassen ein Spürtalent nicht als notwendiges Leistungskriterium galt. Es bereitete Laird allerdings mindestens genauso viel Vergnügen, einfach nur mit Ethan und Sonny im Gelände umherzustreifen, und Ethan fand es ungerecht, dass sein Vater ihm diese Freude nun verwehren wollte.
Doch wenn er jetzt widersprach, würde er den Hund vermutlich nie mehr mitnehmen dürfen, das war Ethan klar. Hielt er sich dagegen zurück, bestand die Hoffnung, dass sein Vater die Anweisung in absehbarer Zeit wieder lockerte und keinen Einwand dagegen erhob.
Ethan war also bereits mit schlechter Laune losgeritten, den enttäuschten Blick des Hundes, den Alastair Longmuir streng bei Fuß befohlen hatte, noch vor seinem geistigen Auge.
Außerdem schien das schöne Wetter der letzten Tage wohl endgültig vorbei zu sein. Grauer Nebel hing tief über den Bergketten, etliche Gipfel waren gar nicht zu sehen und die feuchtkalte Luft ließ Ethan erschauern.
Dann fing es auch noch an zu regnen.
Obwohl die schlechte Witterung sich schon am Vorabend angekündigt hatte, beabsichtigte Ethan keineswegs, auf seinen Ausflug zu verzichten. Wer sich in Schottland vor Regen fürchtete, der sollte besser woandershin ziehen – eine der wenigen Stan dardredensarten Alastair Longmuirs, der Ethan voll und ganz beipflichtete. Seine wasserdichte Regenjacke hing allerdings dummerweise zu Hause an der Garderobe. Nach der Szene wegen des Hundes wollte Ethan um nichts in der Welt noch einmal zurück ins Haus, um sie zu holen. Es regnete nicht sehr stark, aber das Nieseln besaß die unangenehme Eigenschaft, bis auf die Haut durchzudringen, ohne dass man es zunächst merkte. Dass er langsam aber sicher durchnässt wurde, verbuchte er als unvermeidliches Übel.
Sonny störte der Regen nicht, doch Ethan bemühte sich, heute vorsichtiger zu reiten als sonst. Das nasse Gras war glitschig, die Wege aufgeweicht und es hätte gerade noch gefehlt, dass das Pferd ausrutschte oder gar stürzte und sich verletzte.
Ethan allerdings fand es zunehmend unangenehm, als ihm der kalte Regen in den Hemdkragen sickerte, seinen Pullover durchweichte und sogar irgendwie den Weg in die Reitstiefel hineinfand. Er begann zu frieren.
Nach Hause reiten wollte er jedoch noch nicht – seine schnelle Rückkehr würde seinen Vater sicherlich zu spitzen Bemerkungen über verweichlichte Stubenhocker veranlassen. Nach kurzer Überlegung entschloss er sich daher, den McNair-Hof anzusteuern. Es war
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