Der Ruf der Pferde
mir willst.« Ihre Stimme klang schrill, offenbar machte die wütende Patricia ihr tatsächlich Angst.
»So, du weißt es nicht! Du hast wohl vergessen, was ich dir gestern schon gesagt habe? Ich hatte dich gewarnt, Dallis zu schlagen oder sie mit den Sporen zu verletzen. Hab ich oder hab ich nicht?«
»Du hast mir überhaupt nichts zu sagen, kapiert?«, gab Emily bösartig zurück. »
Patricia holte tief Luft. »Wenn es um Tierquälerei geht, hab ich dir sehr wohl was zu sagen, dass das mal klar ist. Ich finde es absolut zum Kotzen, wenn jemand sein Pferd misshandelt, und ganz besonders, wenn es Dallis ist, die du schlägst und trittst!« Sie sprach nicht laut, aber ihre Augen waren schmal vor Zorn und ihr Ton ließ keinen Zweifel darüber, was sie von Emily hielt.
»Dallis, Dallis«, äffte Emily sie nach. »Du mit deinem Getue um Dallis!« Sie trat wieder einen Schritt näher. »Jetzt will ich dir mal was sagen: Der Gaul geht dich einen feuchten Dreck an! Er gehört dir nicht und deswegen hast du gar nichts zu melden darüber, was ich mit ihm mache!«
Patricia verschlug es die Sprache angesichts dieser Kaltschnäuzigkeit. Doch sie fand ihre Fassung schnell wieder und blitzte Emily an.
»Dir gehört das Pony aber genauso wenig!«
»Der Gaul ist ein Mietpferd«, sagte Emily kalt. »Und Schäden sind im Mietpreis enthalten, sagt mein Vater.«
Patricia konnte es nicht glauben. Die ist doch krank, dachte sie bei sich. So redete kein normaler Mensch!
Krampfhaft bemühte sie sich, die Fassung zu bewahren.
»Wie wäre es dann, wenn du dir ab sofort ein anderes Pferd aussuchst?«, fragte sie mühsam, dabei innerlich alle anderen Pferde um Verzeihung bittend, dass sie bereit war, sie für Dallis zu opfern. »Und Dallis in Zukunft in Ruhe lässt?«
Emily lächelte böse.
»Nein, ich werde mir kein anderes Pferd aussuchen«, sagte sie betont gelassen. »Ich finde dieses nämlich genau richtig für mich. Und ich hab keine Lust, mir für die letzte Zeit hier noch einmal einen neuen Gaul zurechtbiegen zu müssen.«
Patricia starrte sie mit offenem Mund an. Das konnte nicht wahr sein.
Doch das befriedigte Lächeln in Emilys Gesicht bewies, dass sie jedes Wort genauso meinte. Als sie genauer hinschaute, entdeckte sie außerdem tief in Emilys Augen ein boshaftes Funkeln.
Und auf einmal wusste Patricia, dass Emily das alles absichtlich tat, um sie zu reizen. Sie hatte Emily am Vortag angepfiffen und bloßgestellt, als sie ihr die Gerte abnahm. Und nun rächte sich das Mädchen an ihr, indem sie Dallis quälte. Dadurch, dass Patricia zugegeben hatte, dass Dallis für sie eine besondere Bedeutung besaß, hatte sie Emily unbeabsichtigt ein perfektes Mittel in die Hände gespielt, es ihr heimzuzahlen. Patricia lief es eiskalt den Rücken herunter.
Emily hatte sie beobachtet. Sie lächelte immer noch. Und nun verschränkte sie siegesgewiss die Arme.
»Du kannst dich auf den Kopf stellen – aber du wirst es nicht verhindern können.«
Patricia sah nur noch Rot.
Noch bevor sie darüber nachdenken konnte, was sie tat, hatte sie Emily eine Ohrfeige verpasst. Mit einem erstickten Laut stürzte sie sich auf das größere Mädchen, blind vor Wut.
Sie hörte kaum, wie Emily panisch kreischte. Sie fühlte nur noch Hass und den unbändigen Wunsch, dieser Person genauso Schmerzen zuzufügen, wie sie es mit der kleinen Stute tat.
Emily wehrte sich nur schwach, sie heulte laut und versuchte, sich loszureißen.
Auf einmal war Luft zwischen ihnen und Patricia merkte, dass sie ihre Feindin nicht mehr erreichen konnte.
»Ganz ruhig jetzt!« Eine Stimme neben ihrem Ohr und kräftige Hände, die sie fest hielten.
»Patricia!« Damian musste mehrmals in scharfem Ton rufen, bevor Patricia aufgab und zitternd zurücktaumelte.
»Sag mal, bist du verrückt geworden?«, fuhr er sie nun an. »Was ist denn in dich gefahren?«
»Die dort ist verrückt geworden, nicht ich!«, keuchte Patricia und wies auf Emily, die sich in sichere Entfernung geflüchtet hatte und nun unter Gejammer ihr ungewohnt zerzaustes Äußeres in Ordnung zu bringen versuchte. Wenigstens grinst sie nicht mehr, stellte Patricia fest.
Damian sah zu Emily hinüber.
»Emily, was war los?« Sein Ton war alles andere als freundlich.
Emily sah ihn mit großen Augen an. »Keine Ahnung«, behauptete sie. »Sie ist aus heiterem Himmel auf mich losgegangen, ich hab überhaupt nichts gemacht.«
»Und wie du was gemacht hast!«, fauchte Patricia und machte eine Bewegung, als
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