Der Ruf der Pferde
sollte nicht glauben, es sei ihretwegen.
»Du bringst bestimmt erst mal Monty zurück auf seine Koppel, oder?« Ihr Lächeln kam etwas gezwungen.
»Ja, dachte ich mir so«, bestätigte Michelle und drehte sich zu dem kleinen Hengst um. »Komm, mein Süßer, jetzt ist Schluss mit Essen, es geht heim!«
Monty ließ sich nicht besonders bereitwillig von den Büschen wegziehen, an denen er sich gerade gütlich tat, schließlich jedoch gab er nach.
»Also, bis später dann«, winkte Michelle Patricia zu und wandte sich zum Gehen, ihr Schritt war beschwingt. Monty trottete hinter ihr her.
»Bis nachher«, erwiderte Patricia automatisch.
Doch ihre Gedanken waren woanders.
Patricia traf auf dem Hof ein, kurz nachdem die Reitgruppe zurückgekehrt war. Die Ponys standen nebeneinander aufgereiht am Haltebalken und ihre jungen Reiter und Reiterinnen sattelten gerade ab oder rieben die Tiere trocken.
Dallis stand allein, mit tief gesenktem Kopf, und Patricia erkannte schon von Weitem, dass sich ihr Zustand durch nichts von dem unterschied, in dem sie sich nach dem gestrigen Ausritt befunden hatte. Ausgenommen, dass sie diesmal auch noch merklich zitterte. Durch den kühlen Wind? Oder vor Angst und Schmerzen?
Kalte Wut packte Patricia.
Diesmal kam Emily nicht so einfach davon, dafür würde sie sorgen.
»Wo ist Emily?«, fragte sie den Erstbesten, der ihr über den Weg lief. Ihr Ton war scharf, aber Patricia war einfach zu wütend.
Der etwa zwölfjährige Junge bückte sich gerade unter den Bauch seines Schimmels, streckte auf Patricias Frage aber den Kopf hervor.
»Emily . . .? Ach, du meinst die mit den Angeber-Klamotten!«
»Genau die. Weißt du, wo sie hin ist?«
»Was willst du denn von der?« Der Junge guckte Patricia neugierig an. »Also, ich bin immer froh, wenn die weg ist.«
»Da geb ich dir recht. Aber sie wird mich jetzt gleich kennenlernen. Hast du ’ne Ahnung, wo ich sie finde?«
Der Junge merkte wohl, dass Patricia vor Zorn bebte. Er krabbelte unter seinem Pferd hervor, stand auf und deutete nach vorne.
»Ich würd’s mal draußen auf dem Parkplatz probieren«, riet er mit einem Grinsen. »Da steht sie meistens nach dem Reiten und passt auf, dass auch jeder mitkriegt, wie ihre Eltern sie abholen. Die kommen nämlich immer mit einem dicken 750i angebraust.«
»Mit was?«, fragte Patricia irritiert, obwohl es sie nicht wirklich interessierte.
»Einem protzigen BMW. Dreihundertsiebenundsechzig PS, fährt über hundertfünfundfünfzig Meilen Spitze«, fügte er hilfreich hinzu. Was er bei ihrer Frage dachte, stand deutlich in seinem Gesicht zu lesen: Die Mädchen hatten echt keinen Plan von Autos!
Patricia war es jedoch einerlei, was er von Mädchen im Allgemeinen sowie von ihr im Besonderen hielt. Sie hatte es eilig.
»Danke«, rief sie ihm zu und rannte bereits los.
»Kein Problem«, winkte er ab und wandte sich wieder den Hufen seines Ponys zu.
Emily stand tatsächlich an der Einfahrt des Parkplatzes.
Wie immer trug sie ihre affektierte Reitkleidung mit Spencerjäckchen und Handschuhen.
Patricia fixierte jedoch nur ihre spiegelblanken Reitstiefel mit den daran befestigten Sporen. Und die neue Reitgerte, die Emily lässig unter dem Arm trug.
Emily stand mit dem Rücken zu ihr und sah sie nicht kommen. Patricia hatte daher das Überraschungsmoment auf ihrer Seite, als sie das Mädchen am Arm packte und herumriss.
»Hey, was soll denn das?« Emily hatte den ersten Schreck schnell überwunden und wurde sofort wütend. »Spinnst du?«
Patricia atmete schwer vom Rennen, doch ihr Zorn loderte unverändert.
»Ich glaube eher, dass du spinnst«, fuhr sie Emily an. »Ich hab Dallis gesehen – du hast sie wieder misshandelt!«
Emily versuchte, sich loszureißen, doch Patricia hielt sie fest. Ihre Gegnerin war sogar etwas größer als sie, doch die Wut verlieh Patricia ungeahnte Kräfte. Sie schüttelte Emily wie eine nasse Ratte, sodass diese aufkreischte.
»Lass mich sofort los! Ich ruf um Hilfe, wenn du mich nicht augenblicklich in Ruhe lässt!«
»Dann ruf doch«, zischte Patricia. »Mutig bist du sowieso nur denen gegenüber, die sich nicht wehren können, stimmt’s?«
Doch sie ließ Emily los. Ihr war klar geworden, dass sie sich von ihrem Zorn nicht zu etwas hinreißen lassen sollte, das ihr ansonsten widerstrebte. Sie wollte sich nun wirklich nicht auf Emilys Niveau herunterlassen.
Emily rieb sich den Arm und wich einen Schritt zurück.
»Ich hab keine Ahnung, was du überhaupt von
Weitere Kostenlose Bücher