Der Ruf der Steine
lass dich nicht entführen! Andy!« Sein Gebrüll hallte durch die Gänge. »Komm zu mir!«
Donnernd fiel eine Tür ins Schloss.
»Andy!«
Aber dann hörte er etwas anderes.
Über ihm. Überall um seinen Kopf herum begann die Luft zu leben. Er vernahm ein rasendes Ticken, ein irgendwie elektronisches Zirpen, und ein fast geräuschloses, unglaublich hastiges Flattern.
Fledermäuse.
Offenbar befand er sich mitten in einem Schwarm, den er durch sein Gebrüll aufgescheucht hatte. Wutentbrannt schaltete er die Taschenlampe ein. Wie Blätter in einem Windkanal flatterten die Fledermäuse um ihn herum. Er zog sich das Hemd über den Kopf und richtete den Strahl der Lampe auf den Boden.
Die Tiere verfügten über ein unfehlbares Sonarsystem, doch ihre unglaublich große Zahl und die Enge des Gangs führten immer wieder zu Berührungen. Mit eingezogenem Kopf glitt Peter dicht an der Wand entlang und hob ab und an die Lampe, weil er hoffte, die Tiere dadurch aufzuhalten. Aber sie flatterten wie die Motten ins Licht. Ob er rennen sollte? Die anderen waren ihm Minuten voraus und konnten längst aus dem Gangsystem verschwunden sein. Aber die Luft war voller Tiere.
Plötzlich geriet eine Fledermaus in seinen aufgerissenen Hemdkragen. Peter schrie hysterisch, als die scharfen Klauen und die winzigen Häkchen an den Flügeln über seine Haut kratzten. Das Tier rutschte zur Seite und glitt schließlich auf seinen Rücken. Er konnte sehen, wie sich sein Hemd bewegte, und hätte sich am liebsten gegen die Wand gepresst. Panische Angst packte ihn, dass das Tier tollwütig sein könnte, doch der Gedanke, das blutige Fleisch eines zerdrückten Tiers an sich zu fühlen, ekelte ihn. Er riss sich das Hemd aus der Hose, aber das Tier hatte sich mit den Haken seiner Flügel verheddert. Er konnte es nicht packen, denn es befand sich mittlerweile genau an seinem Rückgrat. Panisch riss er sich das Hemd über den Kopf und zertrat das Tier mit seinem Fuß.
Auf dem nackten Oberkörper fühlte Peter das Flattern noch intensiver als vorher. Schließlich kroch er mit eingezogenem Kopf und der Taschenlampe in der Hand dicht über dem Boden den Gang entlang. Wie in einem Horrorfilm blitzten immer wieder pinkfarbene Mäulchen vor seinen Augen auf. Als der Schwarm wieder dichter wurde, ließ er sich zu Boden fallen und presste sein halbes Gesicht in eine übelriechende Pfütze aus Wasser und schleimigem Fledermauskot. Ein scharfer Geruch stieg ihm in die Nase, und sein Magen revoltierte. Er spürte, wie das Abendessen die Speiseröhre emporstieg. Tapfer kämpfte er dagegen an, aber bald musste er sich gurgelnd übergeben.
Aber die Fledermäuse schwirrten und schwirrten ohne Ende um ihn herum.
Ungefähr eine ganze Stunde lang lag er dicht gegen den Boden gepresst und würgte. Unablässig fühlte er die Flügel auf seinem Rücken. Als sich die Luft allmählich beruhigte, stand er auf und schlurfte bis zum Ende des Gangs. Und dann stand er plötzlich vor genau demselben Raum, aus dem Hannah damals verschwunden war. Behutsam legte er den Schädel nieder, zog das Messer heraus und öffnete die Tür.
Mit der Taschenlampe leuchtete er hinein. Der Raum war leer. Vier glatte Wände aus Stein – sonst nichts. Keine Tür und kein Fenster. Im schwachen Licht der Lampe untersuchte er sorgfältig jeden Zentimeter der Wand. Nichts, nur solider Stein und Beton, und alles war mit demselben moosartigen Belag bewachsen. Wie konnten sie von hier entkommen sein? Er war nahe daran zu schreien, denn jede Sekunde konnte ihm das donnernde Geräusch in seinem Kopf den Schädel sprengen. Vierzig Meter über ihm kehrte Linda ins Leben zurück – und sie wollte Andy sehen. Er stöhnte laut.
Und dann entdeckte er das Geheimnis.
Auf der linken Seite, ganz unten, im hintersten Eck der Zelle: es war einer der großen rechteckigen Wandsteine. Er sah aus wie die anderen, aber er war mit der übrigen Fläche nicht absolut eben. Es sah aus, als ob er ein paar Millimeter weiter hinten säße, und der Belag war leicht verschmiert.
Peter sank auf die Knie und hob die Taschenlampe in die Höhe. Fußabdrücke. Deutlich erkannte er die Abdrücke von Jackies Arbeitsstiefeln. Sie waren noch feucht.
Er legte sich rücklings auf den feuchten Boden, stemmte die Füße gegen den Stein und drückte.
Der Stein gab nach. Es ging ganz leicht. Das war das Geheimnis. Er summte vor Begeisterung. Dann holte er tief Luft und drückte wieder. Der Block wog gut und gern seine dreihundert
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