Der Ruf der Steine
Goringer noch immer zusammengesackt auf dem Boden hockte.
Als er Peter dreckverkrustet näher kommen sah, hob er verzweifelt die Hände. »Nnnnein, ich bitte Sie!«
Peter kam sich vor wie ein Tier.
»Wo ist Linda?«
»Wer?«, jammerte Goringer. »Hier oben ist niemand mehr. Bitte … Ich verblute.« Sein Fuß hatte sich keinen Millimeter bewegt.
Gehetzt blickte Peter um sich. Dann fiel er auf die Knie und riss sein Messer aus der Erde.
Goringer schrie wie verrückt, bis Peter ihm das Messer ans Doppelkinn setzte. »Was haben Sie mit Linda gemacht?«
»N-n-n-nein!«, schrie er.
»Los, sagen Sie es!«
»Ich kenne keine Linda.«
Peter drückte ihm das Messer gegen die Kehle. »Sie haben ihr Grab geschändet.«
»Oh … dort drüben. Dort drüben hat er den Sack fallen lassen.« Mit zitternder Hand wies Goringer auf den Steinkreis. »Bitte, bringen Sie mich nicht um!«
Peter steckte das Messer in die Scheide zurück und rannte zum Steinkreis, wo der Sack und die Knochen in den Pfützen verstreut umherlagen.
Er sank auf Hände und Füße nieder und tastete mit den Fingern nach den einzelnen Knochenstücken. »Was haben sie nur getan?« Wie besessen durchfurchten seine Finger den Boden und tasteten in den Pfützen umher, um auch die winzigsten Splitter zwischen den Kieselsteinen und Muschelstückchen zu entdecken. Während er zusammensammelte, was er finden konnte, merkte er nicht, wie Goringer sich heimlich davonmachte. Er nahm auch sonst nichts weiter von der Welt wahr. Er wusch die winzigen Fundstücke in einer Pfütze und schichtete sie wie Edelsteine neben dem Kalkstein zu einer kleinen Pyramide auf. Selbst wenn es die ganze Nacht dauern sollte, wollte er jedes noch so kleine Stück finden. Dann würde sie zu ihm zurückkehren – aus all den kleinen Splittern wieder zu ihm zurückkehren, wie sie es versprochen hatte.
Während er suchte und winzige Stückchen zusammentrug, entrang sich ihm ein ersticktes Wimmern. Aber er hörte weder seine Stimme noch das Peitschen des Regens und auch nicht den Wind, der wie Orgelbrausen über die Steine hinwegfegte. Er sah nur seine Linda nackt neben sich in der Dunkelheit, die ihm unmögliche, wunderbarste Dinge verhieß. Sie war da – und das dumpfe Donnern in seinem Kopf.
Wie kleine Tiere krochen seine Finger durch den weichen Boden.
Das grausamste Geschehen im gesamten Universum ist der Tod einer jungen Mutter.
Er verletzte einen Finger an Steinen und Muschelschalen.
Wenn es einen Weg gibt, verspreche ich dir, dass ich ihn finden werde. Ich könnte dich niemals verlassen.
Das rauchige Donnern wurde immer lauter.
Dich niemals verlassen.
Und dann ertasteten seine Finger plötzlich das, was er suchte. Eine glatte, unverkennbar geformte Kontur: Lindas Stirn. Er fühlte das weiche Haar, das vom Duschen noch nass war. Sie duschte immer, bevor sie einander liebten. Wie wild arbeiteten seine Finger, um ihren Hinterkopf freizulegen. Er war immer noch so wunderbar warm. Er fühlte die Schläfen, die Wangenknochen, das Kinn. Voll Eifer umschloss er ihr Gesicht, und Tränen mischten sich in die Regentropfen auf seinen Wangen.
»Meine Linda«, sagte er und küsste ihr Gesicht wieder und wieder. »Du bist zurückgekommen.«
»Peter.«
»Es ist schon in Ordnung. Endlich habe ich dich wieder.«
Er hob den Schädel vom Boden auf, und dann löste sich eine helle Gestalt von einem der Steine.
Langsam kam die Gestalt auf ihn zu. »Was machst du denn da, Peter?«
Es war Connie.
34
Peter drückte den Schädel an seine Brust. »Connie, ich habe Linda gefunden.«
Connie erstarrte.
»Du brauchst keine Angst zu haben.«
»Wir sollten jetzt lieber zurückgehen, Peter.«
»Wohin zurück?«
»Zum Haus.« Sie trat einen Schritt näher und streckte ihm die Hand hin. »Komm, Peter. Bitte.«
»Nein.« Er drückte den Schädel an sich. »Sie wollten sie mir wegnehmen.«
»Aber, Peter, Linda ist doch tot.«
Sie hat keine Ahnung von der Macht der Liebe, Peter.
»Nicht mehr«, sagte er. »Diese Steine haben große Kraft, Connie. Sie hat mich hierher geführt, damit ich die Steine aufstelle und sie zurückkommen kann.«
»Peter, das ist nicht Linda, sondern Brigid Mocnessa.«
»Unsinn, Connie. Ich war nur durcheinander, doch nun weiß ich es besser.«
»Gut, Peter, aber komm trotzdem mit. Wir sprechen zu Hause weiter.«
»Aber sie will Andy sehen. Sonst kommt sie nicht zurück.«
»Andy ist zu Hause. Und Merritt ist auch da.«
»Dan Merritt?«
»Genau der. Wir
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