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Der Ruf der Steine

Der Ruf der Steine

Titel: Der Ruf der Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Goshgarian
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später als Mini-Tornado über den Hügel sauste. Irgendwie wirkte die Bahn gesteuert, als ob der Wirbelwind etwas suchte. Er folgte der Peripherie, vollführte urplötzlich eine Kehrtwende und lief schnurstracks auf das Zentrum des Hügels zu, und als er offenbar den richtigen Punkt erreicht hatte, bohrte er sich selbsttätig in den Sandberg hinein.
    Einige Augenblicke starrte Peter auf den kleinen Fleck, den ein Kreis trockener Blätter markierte. Er konnte nicht sagen, wie lange der Spuk gedauert hatte. Vielleicht dreißig Sekunden. Ihm waren sie jedenfalls wie Minuten vorgekommen. Seltsam, dieser Wirbel schien sich bewusst bewegt zu haben. Seit er verschwunden war, war alles still. Kein Lüftchen regte sich, nichts bewegte sich, nur ein leichter Brandgeruch schwebte in der Luft. Die Vögel waren verschwunden, und selbst die Wolken schienen am Himmel zu verharren. Andy saß wie erstarrt hinter dem Steuer.
    Als er zu seinem Sohn hinübersah, überfiel ihn eine so grauenhafte Vorahnung, dass sein Körper unwillkürlich wie elektrisiert zusammenzuckte. Sein Kopf fuhr herum, als ob in der nächsten Sekunde ein Geist auftauchen würde. Aber nichts dergleichen geschah. Der kahle Sandberg lag still und verlassen da.
    Was, um Himmels willen, ging hier vor?
    Sein Herz klopfte so stark, dass sein Brustkorb schmerzte. Was, zum Teufel, hat mich gepackt? Gerade eben noch hatte er sich auf die Ausgrabung und einige Wochen mit Andy auf der Insel gefreut, doch plötzlich hatte er unaussprechliches Grauen empfunden. Er rieb seine eiskalten Hände.
    Es gibt immer eine natürliche Erklärung, dachte er. Vermutlich war alles nur ein Zusammenspiel aus zu viel Sonne und unbewusster Angst vor der Grabung. Es war einfach zu viel auf seinen Kopf eingestürmt. Sonst nichts. Von wegen Geister. Lediglich ein neurologisches Phänomen, das sich als mystische Erfahrung manifestierte.
    Alles das ging ihm durch den Kopf, während seine Augen auf den Sandhügel gerichtet waren. Und plötzlich hatte er keine Lust mehr, diesem Hügel mit einer Schaufel zu Leibe zu rücken.
    Graben Sie lieber woanders. Hier ist es gefährlich.
    Plötzlich wollte er gar nicht mehr wissen, was der Sand verbarg – als ob ihn etwas Schmutziges erwartete.
    »Hey, Dad?«
    Als ob ein Zauberer mit den Fingern geschnippt hätte, war der Spuk vorüber. »Können wir allmählich gehen?«, rief Peter und ging zu ihm hinüber.
    Andy hatte die Arme auf dem Steuer verschränkt und starrte durch die Windschutzscheibe. Er wirkte müde. Es war ein langer Tag für ihn gewesen. »Ja, aber weißt du was?«
    »Was?« Peter legte ihm die Hand auf den Rücken und küsste ihn auf das Haar. Der Junge roch verschwitzt wie ein kleiner Hund.
    »Wer ist dieser Mann?«
    »Du kennst doch Dan Merritt, mein Schatz.«
    »Nein, den meine ich nicht.« Andy deutete durch das Glas der Kabine. »Den dort drüben am Wald meine ich.«
    Peter blickte zu dem kleinen Wäldchen auf einer Erhebung hinter dem Marschland hinüber. Im vergehenden Licht wirkte der Wald wie eine Mauer. Er sah überhaupt nichts – wahrscheinlich einer von Andys Scherzen. Für Sekunden erwog er auch eine optische Täuschung, aber als er seine Augen beschattete, durchzuckte ihn ein Gefühl des Wiedererkennens. Wie ein Geist tauchte eine bleichgesichtige Gestalt aus dem Buschwerk auf und starrte reglos quer über die Salzwiesen zu ihnen herüber.
    »Wer ist das, Daddy?«
    »Ich habe keine Ahnung.« Die Bauarbeiter waren fort, und laut Merritt war die Insel unbewohnt. Soweit Peter erkennen konnte, war der Mann groß und ganz in Schwarz gekleidet, was an einem warmen sonnigen Tag wie heute nicht gerade normal war.
    »Weißt du was, Dad? Er steht schon ganz lange dort. Ich habe gewunken, aber er hat nicht zurückgewunken«, plapperte Andy. »Er schaut mich immer nur an.«
    Peters Herzschlag beschleunigte sich. Er hob Andy aus dem Führerstand, und als er wieder aufsah, war die Gestalt verschwunden, als ob sich die Bäume vor ihm geschlossen hätten.
    »Aber, Dad, warum hat er mich so angestarrt?«
    »Ich habe nicht die leiseste Ahnung«, antwortete Peter. Aber er hatte das dumpfe Gefühl, dass er das noch herausfinden würde.

 

    4
    E INEN M ONAT SPÄTER  – 24. J UNI
    »Pfui! Was stinkt hier so?« Andy quetschte sich durch die Tür des Hauses und zerrte einen Matchsack hinter sich her.
    »Herrje«, rief Peter, »hier wurde wohl ewig nicht mehr gelüftet!«
    »Müssen wir hier bleiben?«
    »Ich fürchte, wir haben keine andere

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