Der Ruf der Steine
»Bei der Hochzeit schwebst du auf Wolken und hältst dich für unbesiegbar, aber die kleinen Störenfriede wie Unvereinbarkeiten und Ähnliches sind bereits am Werk. Im Lauf der Jahre wachsen sie, trotz aller Kompromisse, bis es eines Tages zu spät ist. Er wollte, dass ich mich in manchen Punkten ändere, aber das war mir nicht möglich, und ihm diesen Wunsch auszureden erst recht nicht. Zu diesem Zeitpunkt waren unsere ganz persönlichen Teufelchen längst zu Dämonen herangewachsen, die uns auseinander trieben.« Sie trank noch einen Schluck und gab ihm die Dose zurück. »In jeder Beziehung gibt es Opfer und Täter.«
Wie kleine Bläschen stiegen diese Worte von Peters Hinterkopf empor.
»Manchmal ist es schwer, das eine vom anderen zu unterscheiden. Mitunter wechseln die Rollen auch, und dann wird das Opfer zum Täter.« Sie ließ eine Hand voll Sand durch die Finger laufen. »Ich bin wirklich gespannt, was wir hier entdecken werden.«
»Höchstwahrscheinlich noch sehr viel mehr von diesem Zeug.«
Die Strahlen der untergehenden Sonne vergoldeten den Hügel. »Wie das Dach eines vergrabenen Tempels!«
»Das ist wahr«, sagte Peter und blickte wieder aufs Wasser hinaus. Ab und zu zogen Segelboote lautlos wie Geister ihre Bahn. Jetzt segeln zu gehen müsste herrlich sein, dachte er. Vielleicht machen wir es, wenn alles überstanden ist. Andy und ich. Vielleicht auch Connie.
In derselben Sekunde fiel ihm auf, dass sie zum ersten Mal allein waren. Bisher waren sie zwar ständig zusammen gewesen, aber immer in Gesellschaft der anderen. Seit fünfzehn Jahren war er zum ersten Mal mit einer anderen Frau als Linda allein. Bei dem Gedanken wurde ihm warm. Seite an Seite saßen sie hoch über dem Meer in der salzigen Luft. Die Arbeiter hatten vor einer halben Stunde Feierabend gemacht, und die anderen waren bereits zu Hause. Er glaubte nicht an Schicksal, doch der Augenblick war vollkommen. Ob sie genauso empfand? Ob sie die Spannung fühlte, die von der Nähe ihrer Körper ausging, oder das Ritual erspürte, wenn ihre Lippen wechselnd dieselbe Stelle berührten? Wahrscheinlich nicht, dachte er. Wahrscheinlich hatte sie vorerst genug von Männern. Dennoch empfand er eine ungeheure Leichtigkeit, wie er sie seit seiner ersten Verabredung mit Linda nie wieder verspürt hatte.
Während Connie den Hügel betrachtete, studierte Peter ihr Profil. Ein ebenmäßiges, intelligentes Gesicht. Die grünen Glitzeraugen wirkten so eindringlich, als ob sie ihn einsaugen wollten. Auch der Mund war einzigartig – volle, sonnenwarme Lippen, die er für sein Leben gern küssen wollte. Aber er redete sich diesen Wunsch rasch wieder aus. Es wäre nur dumm, äußerst dumm und außerdem völlig fehl am Platz. Er hatte eine Grabung zu leiten und nicht seinen Assistenten nachzustellen. Falls sie ihn abwies, hätte er nicht nur diesen wunderbaren Augenblick zerstört, sondern auch die kommenden achtzehn Grabungstage belastet. Fröhlich und unbefangen war sie gekommen, und so wollte sie sicher auch wieder nach Hause zurückkehren.
»Wie lange waren die Steine begraben?«, fragte Connie nach einer ganzen Weile.
»Keine Ahnung, aber sie haben mich vom ersten Augenblick an fasziniert.«
Er sagte nicht, dass er sich seit dem frühen Morgen mit Bildern seltsamer Steinformationen wie langen Reihen oder einer Art Wall beschäftigte. Seit seinem Traum. Aber er konnte sich nie lange genug erinnern, und das Bild verschwand regelmäßig, bevor es sich zusammenfügen konnte. Er sprach auch nicht davon, dass er seit dem ersten Tag das Gefühl hatte, dass zwischen ihm, den Steinen und dem Hügel ein seltsamer Zusammenhang bestand. Nichts von alledem war fassbar oder gar erklärbar, aber inzwischen glaubte er nicht länger, dass der Zufall ihm diese Grabung beschert hatte. Eher das Schicksal, oder noch besser, ein Plan. Das allerdings war viel zu verrückt, um es in Worte fassen zu können.
»Meiner Meinung nach sind diese Steine keinesfalls Teil eines Fundaments aus der Kolonialzeit«, sagte er.
»Und weshalb nicht?«
»An dieser Stelle war kein Fundament nötig, denn die Klippe besteht aus solidem Granit.«
»Kann es sich um einen indianischen Siedlungsplatz handeln?«
»Möglicherweise.«
»Sehr überzeugt klingt das aber nicht.«
»Es gibt schließlich noch andere Möglichkeiten.«
»Denkst du dabei an den Mystery Hill?«
Er fühlte, wie er errötete. »Wer ist hier der Fachmann?«
Sie legte ihm die Hand auf den Arm. »Ich wollte dich
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