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Der Ruf der Steine

Der Ruf der Steine

Titel: Der Ruf der Steine Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gary Goshgarian
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schwebte die Frage längere Zeit im Raum. Alice’ Frage an den Schaufelbagger.
    Keine Antwort. Er fragte sich, ob sie überhaupt Englisch verstand oder ob sie vielleicht stumm war. Die steinerne Stille, das unablässige Starren und das sture Schaben irritierten ihn mehr und mehr. »Ein Onkel von mir hat oben in Maine mit dem Aufspüren von Quellen sein Geld verdient.«
    Keine Reaktion.
    »Ich vermute allerdings, dass Sie auf der Klippe nicht nach Wasser gesucht haben.«
    Wieder blieb die Frau stumm, immer noch das starrende Auge und das unentwegte Wischen und Kratzen. Ob sie zu den so genannten Boat-People gehörte, die überall auf den Inseln und dem Festland aus Bootshäusern zusammenstahlen, was nicht niet- und nagelfest war? Das erklärte jedoch weder das Geweih noch die Wünschelrute. »Können Sie mir sagen, was Sie in dieser Aufmachung auf unserem Grabungsplatz gemacht haben?«
    Wie der Halbmond zeigte sie ihm nur einen Teil ihres Gesichts. » Ihr Grabungsplatz?«
    Ihre Stimme klang rau, weil sie sie wahrscheinlich nur selten gebrauchte. Peter war erleichtert, als er ganz normales Englisch vernahm, denn er hatte schon geglaubt, dass sie aus einem anderen Jahrhundert stammte.
    »Das sollte keine Beleidigung sein. Ich wollte damit nur sagen, dass wir dort oben Ausgrabungen durchführen.«
    Sie reinigte die Klinge an ihrer Hose und fuhr mit dem Schaben fort. »Mir entgeht nichts, was auf dieser Insel geschieht.« Sie hatte lückenhafte gelbe Zähne wie ein alter Hund. »Sie sind auch nicht anders als die anderen.« Die lange Klinge blitzte bedrohlich.
    »Wir haben mit den Baumaßnahmen nichts zu tun, falls Sie darauf anspielen.«
    »Sie haben auf dieser Insel nichts zu suchen. Trotzdem sind Sie gekommen und graben.«
    »Ich glaube, Sie haben mich nicht richtig verstanden. Wir sind Archäologen und suchen nach Anhaltspunkten, um die Geschichte dieser Insel zu klären.«
    Er wusste nicht, ob sie das Wort kannte oder überhaupt kennen wollte. Irgendwie schien sie nichts zu beeindrucken.
    »Sie sind Verbrecher. Allesamt.«
    »Wir tun niemandem etwas.«
    Keine Antwort.
    »Sie waren heute Nacht in unserem Haus, nicht wahr?«
    Das gesunde Auge starrte ihn vernichtend an. »In Ihrem Haus?«
    Sekunden später befand sich das angespitzte Ende der Rute nur Zentimeter von seiner Brust entfernt. »Ich will Ihnen mal etwas sagen, Mr. Archäologe. Ich wurde in diesem Haus geboren. Ebenso meine Mutter und ihre Mutter. Sie befinden sich in meinem Haus, Mister. In meinem Haus.«
    »Demnach waren Sie der Verwalter?«
    »Ich bin der Verwalter«, brummte sie. »Das war ich schon immer. Das können Sie Ihrem Mr. Shit und seinen komischen Rechtsanwälten bestellen.« Mittlerweile zeigte die Spitze genau auf sein Gesicht. »Vielleicht sollte ich Sie töten. Vielleicht sollte ich Sie allesamt töten.«
    Er begriff nicht genau, was sie damit sagen wollte, doch in dem rötlichen Licht wirkte sie so wild, dass er ihr ohne weiteres auch Gewalttaten zutraute. Ohne Zweifel hasste sie Hatcher, weil er sie aus dem Haus geworfen hatte. Doch der Gedanke, dass das nächtliche Spektakel noch längst nicht vorüber sein könnte, beunruhigte ihn wirklich. Vielleicht war er nur für diese halb verrückte Baba-Yaga-Hexe mit der tödlichen Wünschelrute geschont worden. Wer konnte das sagen? In der nächsten Sekunde konnte sie sein Herz durchbohren, und in spätestens einer halben Stunde lag er mit einem Anker beschwert auf dem Grund der Bucht, und die ersten Krabben machten sich über ihn her. In ihrer Vorstellung gehörte er eindeutig zu Hatchers Leuten.
    »Unten im Labyrinth – das waren auch Sie, nicht wahr?«
    Keine Antwort. Wie eine Schlange bewegte sich die Spitze des Astes über seine Haut.
    »Sie haben auch unseren Schaufelbagger beschädigt. Mein Sohn wäre beinahe von der Klippe gestürzt.« Er fragte sich allerdings, wie sie es angestellt hatte. Sie kannte sich zwar mit Bootsmotoren aus, aber nach Jimmys Ansicht hätte nur Superman so etwas zustande bringen können. Wie hatte sie die Schaufel einfach anheben können?
    »Sie denken, dass es auf alles eine einfache Antwort gibt, nicht wahr?«
    »Ich habe keine Ahnung, was genau Sie meinen.«
    »Wirklich nicht, Mr. Archäologe?«
    »Nein, wirklich nicht.«
    In Peters Kopf meldete sich leises Dröhnen, doch er wehrte sich. Er wollte sich nicht wieder von der Irrealität terrorisieren lassen.
    »Ich weiß auch nichts über Ihren Streit mit Fane Hatcher. Ich habe nichts damit zu tun. Erst recht

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