Der Ruf Der Trommel
drei Eier!«
Das Publikum hielt vor Erstaunen die Luft an und kicherte dann, doch ich war zu beschäftigt, um den falschen Eindruck geradezurücken. Ich wischte sorgfältig das Perineum mit reinem Alkohol ab, tauchte mein Skalpell in die Flüssigkeit, zog die Klinge als letzte Sterilisationsmaßnahme vorwärts und rückwärts durch eine Kerzenflamme und machte einen raschen Einschnitt.
Nicht groß, nicht tief. Gerade genug, um die Haut zu öffnen und die rötlichgrau glänzende Darmschlinge zu sehen, die sich durch den Riß im Muskelgewebe vorwölbte. Blut quoll in einem dünnen Rinnsal heraus und tropfte dann auf die Decke.
Ich erweiterte den Einschnitt, tauchte meine Finger gründlich in die Desinfektionsschale, legte dann zwei Finger auf die Schlinge und schob sie sanft hoch. Myers verkrampfte sich plötzlich und schüttelte mich fast ab, dann entspannte er sich genauso plötzlich. Er verspannte sich wieder, sein Hintern hob sich, und meine Helfer ließen fast seine Beine los.
»Er wacht auf!« rief ich Jamie im allgemeinen Alarmgeschrei zu. »Gib ihm mehr, schnell!« All meine Zweifel über den Nutzen von Alkohol als Betäubungsmittel erwiesen sich als richtig, doch jetzt war es zu spät, um es mir anders zu überlegen.
Jamie packte den Mann am Kinn, öffnete ihm den Mund und flößte ihm Whisky ein. Myers hustete und spuckte und machte Geräusche wie ein ertrinkender Büffel, doch eine ausreichende Menge Alkohol schaffte es durch seine Kehle - der hünenhafte Körper entspannte sich. Der Bergläufer verfiel in murmelnde Reglosigkeit und begann zu schnarchen.
Es war mir gelungen, meine Finger in Position zu halten; er blutete stärker, als es mir lieb war, doch seine Bewegungen hatten die durchgebrochene Darmschlinge nicht wieder hinausbefördert. Mit einem sauberen, brandygetränkten Tuch betupfte ich die Stelle; ja, ich konnte den Rand der Muskelschicht sehen. Obwohl Myers so dürr war, lag unter seiner Haut eine dünne, gelbe Fettschicht, die die Oberfläche von den darunterliegenden dunkelroten Fasern trennte.
Wenn er atmete, konnte ich spüren, wie sich sein Darm bewegte, und die dunkle, feuchte Wärme seines Körpers umgab meine nackten Finger in jener seltsamen, einseitigen Intimität, die das Reich des Chirurgen ist. Ich schloß die Augen, ließ jede Eile von mir abfallen und vergaß die Zuschauer ringsum.
Ich atmete langsam ein und paßte meinen Rhythmus dem deutlich hörbaren Schnarchen an. Durch den Brandyduft und den etwas abstoßenden Essensgeruch hindurch nahm ich die erdigen Gerüche seines Körpers wahr; abgestandenen Schweiß, schmuddelige Haut, einen Hauch Urin und den Kupfergeruch des Blutes. Jedem anderen wären sie unangenehm gewesen, doch mir nicht, zumindest nicht jetzt.
Dieser Körper war . Weder gut noch schlecht, er war einfach. Er war mir jetzt vertraut; er war mein.
Sie waren alle mein: der bewußtlose Körper unter meinen Händen, der seine Geheimnisse preisgab, die Männer, die ihn hielten und ihre Augen auf mich gerichtet hatten. Es geschah nicht immer, doch wenn es dazu kam, war es ein unvergeßliches Gefühl, diese Synthese von Individuen, die sich zu einem einzigen Organismus verbanden. Und indem ich die Kontrolle über diesen Organismus übernahm, wurde ich selbst Teil davon und verlor mich darin.
Die Zeit stand still. Ich war mir jeder Bewegung genau bewußt, jedes Atemzuges, des Widerstandes der Catgutfäden, während ich den Leistenring zusammenzog, doch meine Hände gehörten nicht mir. Meine Stimme war hell und klar, sie gab Anweisungen, die unverzüglich befolgt wurden, und irgendwo in weiter Ferne verfolgte ein kleiner Beobachter in meinem Hirn den Vorgang mit distanziertem Interesse.
Dann war es vorbei, und die Zeit setzte wieder ein. Ich trat einen Schritt zurück und löste damit die Verbindung. Mir wurde ein bißchen schwindelig, als ich so unvermittelt allein dastand.
»Fertig«, sagte ich, und das Gemurmel der Zuschauer schwoll zu lautem Beifall an. Immer noch berauscht - hatte sich Myers’ Trunkenheit per Osmose auf mich übertragen? -, drehte ich mich auf dem Absatz um und sank zu einem besonders tiefen Hofknicks vor den Gästen nieder.
Eine Stunde später hatte ich mir meinen eigenen Rausch angetrunken, denn ich war das Opfer diverser Trinksprüche geworden. Unter dem Vorwand, nach meinem Patienten sehen zu wollen, gelang es mir, kurz zu entfliehen, und ich stolperte nach oben in das Gästezimmer, in dem er lag.
Auf der Empore blieb ich stehen
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