Der Ruf Der Trommel
und hielt mich am Geländer fest, um die Balance wiederzufinden. Gespräche und Gelächter klangen als lautes Summen von unten herauf; die Abendgesellschaft war immer noch in vollem Gange, hatte sich aber in kleine Grüppchen aufgelöst, die sich über das Parkett der Halle und des Salons verteilten. Von meinem Standort aus betrachtet, wirkte es wie eine Bienenwabe: Bauschige Perückenköpfe und gazebeflügelte Kleider taumelten auf den sechseckigen Fliesen hin und her und summten geschäftig über Gläsern, die mit dem Nektar Brandy und Portwein gefüllt waren.
Wenn Jamie ein Ablenkungsmanöver wollte, dachte ich benommen, dann hätte er sich nichts Besseres wünschen können. Was auch immer hätte geschehen sollen, war erfolgreich verhindert worden. Doch was war es - und wie lange konnte es aufgeschoben werden?
Ich schüttelte den Kopf, um ihn klar zu bekommen - mit mäßigem Erfolg - und begab mich zu meinem Patienten.
Myers schlief immer noch selig und tief und atmete in langen Zügen, die das baumwollene Bettzeug erzittern ließen. Die Sklavin Betty nickte mir lächelnd zu.
»Es geht ihm gut, Mrs. Claire«, flüsterte sie. »Man könnte den Mann nicht mal mit’nem Schießeisen aufwecken, glaube ich.«
Ich brauchte seinen Puls nicht zu fühlen; sein Kopf war zur Seite gedreht, und ich konnte die dicke Vene an seinem Hals sehen, in der der Puls langsam und schwer wie ein Hammer schlug. Ich berührte ihn, und seine Haut fühlte sich kühl und feucht an. Kein Fieber, kein Anzeichen eines Schocks. Seine ganze enorme Person strahlte Frieden und Wohlbehagen aus.
»Wie geht es ihm?« Wäre ich weniger betrunken gewesen, hätte ich mich erschrocken. So aber drehte ich mich nur um die eigene Achse. Jamie stand hinter mir.
»Gut«, sagte ich. »Man könnte ihn nicht einmal mit einer Kanone umbringen. Er ist wie du«, sagte ich und lehnte plötzlich an ihm, die Arme um seine Taille geschlungen, mein erhitztes Gesicht in den kühlen Leinenfalten seines Hemdes vergraben. »Unverwüstlich.«
Er küßte mich auf den Scheitel und strich ein paar Locken zurück, die sich während der Operation selbständig gemacht hatten.
»Gut gemacht, Sassenach«, flüsterte er. »Sehr gut, Liebste.«
Er roch nach Wein und Bienenwachs, nach Kräutern und Highlandwolle. Ich ließ meine Hand tiefer gleiten und spürte die Rundungen seines Hinterns, glatt und frei unter dem Kilt. Er bewegte sich sacht und drückte seinen Oberschenkel an den meinen.
»Du brauchst ein bißchen frische Luft, Sassenach - und ich muß mit dir reden. Kannst du ihn ein Weilchen allein lassen?«
Ich blickte auf das Bett und seinen schnarchenden Bewohner.
»Ja. Wenn Betty bei ihm sitzenbleibt und darauf achtet, daß er sich nicht im Schlaf übergibt und erstickt?« Ich sah die Sklavin an, die überrascht schien, daß ich überhaupt fragte, aber bereitwillig nickte.
»Wir treffen uns im Kräutergarten - und paß auf, daß du nicht die Treppe runterfällst und dir den Hals brichst, aye?« Er hob mein Kinn an und küßte mich kurz und intensiv. Ich blieb benommen zurück, und fühlte mich zugleich betrunkener und nüchterner als zuvor.
13
Eine Gewissensprüfung
Etwas Dunkles landete mit einem leisen Plop! vor uns auf dem Weg, und ich blieb abrupt stehen und klammerte mich an seinen Arm.
»Ein Frosch«, sagte Jamie seelenruhig. »Hörst du sie singen?«
»Singen« war nicht das Wort, das mir zu dem Quak- und Grunzkonzert eingefallen wäre, das aus dem Schilf am Fluß erklang. Aber Jamie hatte kein musikalisches Gehör und machte kein Hehl aus dieser Tatsache.
Er streckte die Fußspitze vor und stieß das am Boden hockende Tier sanft an.
»›Brekekekex, quak, quak‹«, zitierte er. »›Brekekekex, quak!‹« Das Tier hüpfte davon und verschwand unter den feuchten Pflanzen am Wegrand.
»Ich habe ja schon immer gewußt, daß du ein Talent für Sprachen hast«, sagte ich amüsiert, »aber ich hatte keine Ahnung, daß du Fröschisch kannst.«
»Na ja, nicht gerade fließend«, sagte er bescheiden. »Aber meine Aussprache ist gut, wenn ich das sagen darf.«
Ich lachte, und er drückte mir die Hand und ließ sie dann los. Der kurze Funke des Witzes erlosch, ohne eine Unterhaltung zu entzünden, und wir gingen weiter, körperlich zusammen, doch in Gedanken meilenweit voneinander entfernt.
Ich hätte erschöpft sein sollen, doch durch meine Adern strömte immer noch Adrenalin. Ich verspürte die Hochstimmung, die sich nach einer erfolgreichen Operation
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