Der Ruf Der Trommel
angesehen.
»Das ist meine Frau, Mistress Fraser.«
Ich konnte sehen, wie die beiden steifen Finger an Jamies rechter Hand einmal zuckten, der einzige sichtbare Hinweis auf seine Gefühle. Er legte den Kopf etwas zurück und betrachtete den Sergeanten mit einer Art sachlichem Interesse.
»Und welcher seid Ihr, Sir? Ich bitte meine Erinnerungslücke zu entschuldigen, aber ich gestehe, daß ich Euch nicht von Eurem Bruder unterscheiden kann.«
Der Sergeant zuckte zusammen, als hätte man ihn angeschossen, und erstarrte beim Anlegen seiner Halsbinde.
»Verdammt!« sagte er und erstickte fast an seinen Worten. Sein Gesicht hatte einen ungesunden Pflaumenton angenommen, und ich dachte bei mir, daß er wirklich auf seinen Blutdruck achten sollte. Das sagte ich aber nicht laut.
An dieser Stelle schien der Sergeant zu bemerken, daß ihn alle Anwesenden im Schankraum mit großem Interesse anstarrten. Er blickte um sich, schnappte sich seinen Hut und stampfte zur Tür, wobei er mich im Vorübergehen zur Seite schob, so daß ich einen Schritt zurückstolperte.
Jamie ergriff meinen Arm, um mich zu stützen, und schlüpfte dann ebenfalls unter dem Türsturz hindurch. Ich folgte ihm und bekam gerade noch mit, wie er dem Sergeant hinterherrief: »Murchison! Ich muß mit Euch reden!«
»Reden, was?« sagte er. »Und was könntet Ihr mir wohl zu sagen haben, Mister Fraser?«
»Etwas Berufliches, Sergeant«, sagte Jamie kühl. Er deutete mit einem Nicken auf den Wagen, den wir unter einem Baum zurückgelassen hatten. »Wir haben Euch eine Leiche mitgebracht.«
Zum zweiten Mal verlor das Gesicht des Sergeants jeden Ausdruck. Er blickte auf den Wagen, wo Fliegen und Mücken sich in kleinen Wolken gesammelt hatten und träge über der offenen Ladefläche kreisten.
»So.« Er war Berufssoldat, sein Benehmen blieb zwar unvermindert feindselig, doch das Blut wich aus seinem Gesicht, und seine geballten Fäuste entspannten sich.
»Eine Leiche? Wessen Leiche?«
»Ich habe keine Ahnung, Sir. Ich hatte die Hoffnung, daß Ihr es uns vielleicht sagen könntet. Wollt Ihr nachsehen?« Er wies kopfnickend auf den Wagen, und nach einem Augenblick des Zögerns nickte der Sergeant ebenfalls und schritt zum Wagen.
Ich eilte Jamie hinterher und kam gerade rechtzeitig, um das Gesicht des Sergeanten zu sehen, als er den Rand des improvisierten Leichentuches zurückzog. Er hatte nicht die geringste Erfahrung darin, wie man seine Gefühle verbarg - vielleicht war das in seinem Beruf nicht nötig. Schrecken flackerte über sein Gesicht wie ein Sommergewitter.
Jamie konnte das Gesicht des Sergeanten genausogut sehen wie ich.
»Ihr kennt sie also?« sagte er.
»Ich - sie - das heißt… ja, ich kenne sie.« Der Mund des Sergeants klappte abrupt zu, als hätte er Angst davor, noch mehr Worte entweichen zu lassen. Er starrte weiter auf das Gesicht des toten Mädchens, während sein eigenes sich verschloß und jedes Gefühl darin gefror.
Ein paar Männer waren uns aus dem Wirtshaus gefolgt. Sie hielten zwar diskret Abstand, doch zwei oder drei von ihnen reckten neugierig die Hälse. Es würde nicht lange dauern, bis der ganze Distrikt wußte, was sich bei der Sägemühle zugetragen hatte. Ich hoffte, daß Duncan und Ian weitergekommen waren.
»Was ist mit ihr geschehen?« fragte der Sergeant und sah auf das erstarrte, weiße Gesicht herab. Sein eigenes Gesicht war fast genauso bleich.
Jamie beobachtete ihn genau, ohne es zu verhehlen.
»Ihr kennt sie also?« sagte er noch einmal.
»Sie ist - sie war - eine Wäscherin. Lissa - Lissa Garver heißt sie.« Der Sergeant sprach mechanisch und blickte immer noch auf den Wagen herab, als könnte er sich nicht von dem Anblick losreißen. Sein Gesicht war ausdruckslos, doch seine Lippen waren weiß, und er hatte die Hände an seinen Seiten zu Fäusten geballt. »Was ist passiert?«
»Hat sie Verwandte in der Stadt? Einen Ehemann vielleicht?«
Es war eine naheliegende Frage, doch Murchisons Kopf schoß hoch, als hätte Jamie ihn gestochen.
»Das geht Euch nichts an, oder?« sagte er. Er starrte Jamie aus weit aufgerissenen Augen an und entblößte die Zähne zu einem Ausdruck, der Höflichkeit hätte sein können, aber keine war. »Sagt mir, was ihr zugestoßen ist.«
Jamie zuckte mit keiner Wimper, als sein Blick den des Sergeants traf.
»Sie wollte ein Kind abtreiben, und es ist schiefgegangen«, sagte er leise. »Wenn sie einen Mann hat, muß man es ihm sagen. Wenn nicht - wenn sie keine
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