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Der Ruf Der Trommel

Titel: Der Ruf Der Trommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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angebrochen, und der Wald war von Nebel und graublauem Licht erfüllt, von Zwielicht, dem geheimnisvollen Halbdunkel, das an beiden Enden des Tages kommt, wenn die kleinen, verborgenen Lebewesen auf Nahrungssuche gehen.
    Über uns erscholl gelegentlich ein zaghaftes Zwitschern aus dem Blätterdach, doch es war nicht mit dem üblichen schrillen Chor zu vergleichen. Wegen des Regens begannen die Vögel heute den Tag später; der Himmel hing immer noch tief und war voller Wolken, die von Schwarz im Westen bis hin zu einem blassen Schieferblau im dämmrigen Osten reichten. Stolz durchfuhr mich bei dem Gedanken, daß ich schon die Zeit wußte, zu der die Vögel normalerweise sangen, und daß mir der Unterschied aufgefallen war.
    Jamie hatte recht gehabt, dachte ich, als er vorschlug, auf dem Berg zu bleiben, anstatt nach Cross Creek zurückzukehren. Es war Anfang September, und Myers’ Einschätzung nach würden wir noch zwei Monate lang gutes Wetter haben - relativ gutes Wetter, verbesserte ich mit einem Blick auf die Wolken -, bevor die Kälte einen Unterschlupf unabdingbar machte. Zeit genug - vielleicht -, um eine kleine Hütte zu bauen, zu jagen und uns mit Vorräten für den bevorstehenden Winter zu versorgen.
    »Es wird ganz schön anstrengend werden«, hatte Jamie gesagt. Ich stand zwischen seinen Knien, während er auf einem hohen Felsen saß und über das Tal blickte. »Und nicht ganz ungefährlich; wir könnten scheitern, wenn es früh schneit oder ich nicht genug Wild jagen kann. Ich tue es nicht, wenn du nein sagst, Sassenach. Würdest du Angst haben?«
    Angst war noch untertrieben. Der Gedanke ließ mir das Herz in die Hose sinken. Als ich zugestimmt hatte, daß wir uns auf dem Bergrücken ansiedelten, war ich davon ausgegangen, daß wir den Winter über nach Cross Creek zurückkehren würden.
    Wir hätten ganz in Ruhe Vorräte und Siedler um uns sammeln und im Frühjahr als Karawane zurückkehren können, um gemeinsam das Land zu roden und Häuser zu errichten. Statt dessen würden wir völlig allein sein, mehrere Tagesreisen von der nächsten winzigen europäischen Ansiedlung entfernt. Allein in der Wildnis - allein den ganzen Winter lang.
    Wir hatten so gut wie keine Werkzeuge oder Vorräte bei uns außer
einer großen Axt, ein paar Messern, einem Reisekessel und einem Backblech und meiner kleineren Arzneikiste. Was wäre, wenn etwas passierte, wenn Ian oder Jamie krank wurden oder sich bei einem Unfall verletzten? Wenn uns Hunger oder Kälte zusetzten? Und Jamie war sich zwar sicher, daß unsere indianischen Bekannten keine Einwände gegen unser Vorhaben hatten, doch ich war nicht so gelassen, wenn ich daran dachte, wer sonst noch vorbeikommen könnte.
    Ja, ich würde verdammt noch mal Angst haben. Andererseits war ich alt genug, um zu wissen, daß Angst allein normalerweise nicht tödlich war - zumindest nicht automatisch. Wenn man natürlich den einen oder anderen Bären oder Wilden hinzufügte, na ja, dann sah die Sache anders aus.
    Zum ersten Mal dachte ich mit inniger Sehnsucht an River Run zurück, an heißes Wasser, warme Betten und regelmäßige Mahlzeiten, an Ordnung und Sauberkeit… und Sicherheit.
    Ich konnte allerdings sehr gut verstehen, warum Jamie nicht zurückwollte: Noch ein paar Monate länger auf Jocastas Kosten zu leben, würde ihn ihr gegenüber noch tiefer verpflichten, würde es noch schwieriger machen, ihren Schmeicheleien zu widerstehen.
    Er wußte auch - sogar noch besser als ich -, daß Jocasta Cameron eine geborene MacKenzie war. Ich hatte ihre Brüder, Dougal und Colum, gut genug gekannt, um diese Abstammung mit einigem Argwohn zu betrachten: Die MacKenzies von Leoch gaben nicht so leicht auf und waren sich mit Sicherheit nicht zu schade dazu, ihre Ziele mit Intrigen und Manipulation zu erreichen. Und vielleicht webte eine blinde Spinne ihre Netze ja um so fester, weil sie sich allein auf den Tastsinn verlassen mußte.
    Außerdem hatten wir jeden Grund, Sergeant Murchisons Nähe wie die Pest zu meiden, denn er schien definitiv von der nachtragenden Sorte zu sein. Und dann waren da noch Farquard Campbell und das ganze Netz aus Pflanzern und Regulatoren, Sklaven und Politik, das uns dort erwartete… Nein, ich konnte absolut verstehen, warum Jamie nicht zu diesen Verwicklungen und Komplikationen zurückwollte, ganz zu schweigen von der bedrohlichen Tatsache des bevorstehenden Krieges. Zur gleichen Zeit aber war ich mir relativ sicher, daß keiner dieser Gründe den Ausschlag

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