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Der Ruf Der Trommel

Titel: Der Ruf Der Trommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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gleichen Schmerz wie beim Tod des Reverends; als wäre er selber frisch verwaist.
    Die Erkenntnis traf ihn wie ein weiterer Schlag. Das hier konnte er Brianna nicht zeigen, er konnte es nicht. Sie war sich natürlich über das Risiko im klaren gewesen, aber - nein. Mit so etwas hatte sie sicher nicht gerechnet.
    Es war purer Zufall gewesen, der ihn mit der Nase darauf gestoßen hatte. Er war auf der Suche nach Texten alter Balladen gewesen, die er seinem Repertoire hinzufügen konnte, und hatte ein Buch mit Country-Songs durchgeblättert. Eine Illustration hatte das Original der Zeitungsseite gezeigt, auf der eine der Balladen zuerst veröffentlicht worden war. Roger hatte einen Blick auf die antiken Bekanntmachungen auf derselben Seite geworfen, und dabei war ihm der Name »Fraser« ins Auge gefallen.
    Der Schock ließ jetzt ein wenig nach, doch in seiner Magengrube hatte sich die Trauer niedergelassen und plagte ihn wie ein schmerzendes Geschwür. Er war ein Wissenschaftler und der Sohn eines Wissenschaftlers; er war mit Büchern aufgewachsen, und seit frühester
Kindheit hatte man ihm eingeimpft, daß das gedruckte Wort heilig war. Er kam sich wie ein Mörder vor, als er nach seinem Taschenmesser griff, sich umsah, um sicherzugehen, daß er unbeobachtet war, und das Messer verstohlen aufklappte.
    Es war eher Instinkt als Verstand; der Instinkt, der einen Menschen dazu drängt, die Überreste eines Unfalls aufzuräumen, die Leichen ordentlich zuzudecken, die sichtbaren Spuren der Katastrophe zu verwischen, obwohl es eine Tragödie bleibt.
    Er versteckte die zusammengefaltete Seite in seiner Tasche, als wäre es ein abgetrennter Daumen, verließ die Bibliothek und begab sich auf die verregneten Straßen von Oxford.
    Der Spaziergang brachte ihn zur Ruhe, versetzte ihn wieder in die Lage, rational zu denken, seine Gefühle so lange zu unterdrücken, daß er planen konnte, was zu tun war, wie er Brianna vor einem Schmerz schützen sollte, der tiefer und längerwährend sein würde als sein eigener.
    Er hatte die bibliographische Information vorn in dem Buch überprüft; herausgegeben 1906 von einem kleinen, britischen Verlag. Es würde also nicht weit verbreitet sein; aber dennoch könnte Brianna bei ihren eigenen Nachforschungen darauf stoßen.
    Es war keine naheliegende Quelle für die Informationen, die sie suchte, doch der Titel des Buches war Lieder und Balladen des achtzehnten Jahrhunderts . Er kannte die Neugier zu gut, die einen Historiker dazu brachte, impulsiv an den unwahrscheinlichsten Stellen herumzustochern. Brianna wußte genug, um dies auch zu tun. Außerdem kannte er ihren kindlichen Wissensdurst - nach jeglicher Art von Wissen -,der sie dazu bewegen würde, sich alles anzusehen, was mit der betreffenden Periode zu tun hatte, in dem Bemühen, sich die Umgebung ihrer Eltern vorzustellen, eine Vision von einem Leben hervorzurufen, das sie weder sehen noch teilen konnte.
    Unwahrscheinlich, aber nicht unwahrscheinlich genug. Jemand rempelte ihn im Vorübergehen an, und er stellte fest, daß er schon seit einigen Minuten am Brückengeländer lehnte und blicklos zusah, wie die Regentropfen auf die Wasseroberfläche prasselten. Langsam wandte er sich wieder der Straße zu, ohne die Läden und die zahllosen Regenschirme wahrzunehmen.
    Es gab keine Möglichkeit sicherzugehen, daß sie niemals ein Exemplar dieses Buches zu Gesicht bekam; es konnte sein, daß dies hier das einzige Exemplar war, doch es konnte genausogut Hunderte davon geben, die wie Zeitbomben in den Bibliotheken der USA verteilt lagen.
    Der Schmerz tief in seinem Inneren wurde stärker. Er war jetzt völlig
durchnäßt und fror. Er spürte, wie sich bei einem weiteren Gedanken eine noch durchdringendere Kälte in ihm ausbreitete: Was würde Brianna tun, wenn sie es herausfand?
    Sie würde verstört sein, schmerzerfüllt. Doch dann? Er persönlich war davon überzeugt, daß man die Vergangenheit nicht ändern konnte; die Dinge, die Claire ihm erzählt hatte, hatten ihn darin bestätigt. Sie und Jamie Fraser hatten das Gemetzel von Culloden zu verhindern versucht und nichts erreicht. Sie hatte versucht, Frank zu retten, ihren Ehemann in der Zukunft, indem sie seinen Vorfahren, Jack Randall, rettete - und hatte versagt, nur um herauszufinden, daß Jack überhaupt nicht Franks Vorfahr gewesen war, sondern die schwangere Geliebte seines jüngeren Bruders geheiratet hatte, damit das Kind nach dessen Tod ehelich geboren wurde.
    Nein, die Vergangenheit

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