Der Ruf Der Trommel
Stippvisiten nach Anna Ooka, um Nayawenne zu besuchen, und jedesmal kehrte ich mit Körben und Krügen voll nützlicher Kräuter zurück.
Anfangs hatte Jamie darauf bestanden, daß er oder Ian mich zu den weiter entfernten Orten begleiteten, doch es stellte sich bald heraus, daß keiner von ihnen entbehrlich war; es war Zeit für die erste Aussaat, der Boden mußte vorbereitet und mit der Egge bearbeitet werden, und Mais und Gerste mußten gesät werden, ganz zu schweigen von den regelmäßigen Aufgaben, die auf einem kleinen Hof anfielen. Zusätzlich zu den Pferden und Maultieren hatten wir eine kleine Hühnerschar erworben, einen lasterhaft aussehenden schwarzen Eber, der den gesellschaftlichen Bedürfnissen unseres Schweins gerecht werden sollte, und - als größten Luxus - eine Milchziege, und sie alle mußten gefüttert, getränkt und ganz allgemein daran gehindert werden, sich gegenseitig umzubringen oder von Bären oder Panthern gefressen zu werden.
Also ging ich immer öfter allein los, wenn ein Fremder unvermittelt in der Eingangstür erschien und nach einer Heilerin oder Hebamme fragte. Daniel Rawlings’ Krankenbuch erhielt neue Einträge, und unsere Vorratskammer wurde um Schinken, Hirschkeulen, Getreidesäcke oder Berge von Äpfeln bereichert, mit denen mich meine Patienten für meine Zuwendung bezahlten. Ich verlangte nie eine Bezahlung, doch irgend etwas wurde mir immer angeboten - und arm, wie wir waren, war uns alles willkommen.
Meine Patienten im Hinterland kamen von überallher, und viele sprachen weder Englisch noch Französisch: da gab es deutsche Lutheraner, Quäker, Schotten, Iren und die Mitglieder einer großen Siedlung der Herrnhuter Brüdergemeinde in Salem, die eine merkwürdige Sprache sprachen, die ich für Tschechisch hielt. Normalerweise kam ich jedoch zurecht; in den meisten Fällen konnte jemand für mich dolmetschen, und schlimmstenfalls konnte ich mich auf die Sprache von Händen und Körper verlassen - »Wo tut es weh?« kann man in jeder Sprache leicht verstehen.
August 1768
Ich war durchgefroren. Obwohl ich mir größte Mühe gab, fest in meinen Umhang gewickelt zu bleiben, riß der Wind ihn mir vom Leib und blähte ihn auf wie ein Segel. Er flatterte dem Jungen, der neben mir herging, um den Kopf und riß mich mit jedem Windstoß im Sattel zur Seite. Der Regen drang zwischen den wehenden Falten wie gefrorene Nadeln ein, und ich war bis auf Kleid und Unterröcke durchnäßt, noch ehe wir den Bach namens Mueller’s Creek erreichten.
Der Bach selbst brodelte an uns vorbei, und entwurzelte Schößlinge, Felsen und versunkene Äste stiegen dann und wann an seine Oberfläche.
Tommy Mueller warf einen Blick auf die Flut und hatte dabei die Schultern fast bis zur Krempe des Schlapphutes hochgezogen, den er sich über beide Ohren gestülpt hatte. Jede Linie seines Körpers drückte Zweifel aus, daher bückte ich mich, um ihm ins Ohr zu rufen.
»Bleib hier!« brüllte ich und versuchte, das Heulen des Windes zu übertönen.
Er schüttelte den Kopf und rief mir etwas zu, doch ich konnte ihn nicht hören. Ich schüttelte meinerseits heftig den Kopf und zeigte mit der Hand auf das Ufer; der schlammige Boden bröckelte schon ab - ich konnte förmlich zusehen, wie die schwarze Erde klumpenweise fortgewaschen wurde.
»Geh zurück!« rief ich.
Er machte ebenfalls eine nachdrückliche Handbewegung - zurück zum Bauernhaus - und griff mir in die Zügel. Er hielt es offensichtlich für zu gefährlich; er wollte, daß ich mit zum Haus zurückkehrte, um dort das Ende des Sturms abzuwarten.
Er hatte definitiv nicht unrecht. Andererseits konnte ich zusehen, wie der Fluß breiter wurde und die hungrige Flut Brocken und Klumpen aus dem weichen Ufer fraß. Wenn wir noch länger warteten, würde niemand mehr hinüberkönnen - und es würde noch tagelang nicht sicher sein; ein solches Hochwasser konnte bis zu einer Woche dauern, solange noch Regenwasser aus den höheren Berglagen herunterlief und die Flut nährte.
Die Vorstellung, in einem Vierzimmerhaus mit allen zehn Muellers eingepfercht zu sein, reichte aus, um mich zum Leichtsinn zu treiben. Ich entriß Tommy die Zügel und wandte mich um. Mein Pferd schüttelte sich den Regen vom Kopf und bewegte sich vorsichtig auf dem glitschigen Schlamm.
Wir gelangten an die obere Uferböschung, wo uns eine dichte Laubschicht besseren Halt gab. Ich drehte das Pferd um, wies Tommy an, aus dem Weg zu gehen, und beugte mich vor wie eine
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