Der Ruf Der Trommel
Ian losgeschickt, um dich zu suchen. Ich nehme an, du erinnerst dich an Lord John?«
»Wie könnte ich ihn vergessen?« sagte ich und schenkte Seiner Lordschaft ein besonders strahlendes Lächeln. Sein Mund zuckte leicht, doch er blieb ernst, als er sich tief vor mir verbeugte. Wie schaffte es ein Mann, nach mehreren Tagesritten und Nächten im Wald immer noch so makellos auszusehen?
»Euer Diener, Mrs. Fraser.« Er sah den Jungen an und runzelte leicht die Stirn über dessen halbbekleidete Erscheinung. »Darf ich Euch meinen Stiefsohn vorstellen, Lord Ellesmere? Und William, da ich sehe, daß du die Bekanntschaft unserer liebenswürdigen Gastgeberin bereits gemacht hast, würdest du auch unseren Gastgeber begrüßen, Hauptmann Fraser?«
Der Junge trat von einem Fuß auf den anderen und tanzte fast auf den Zehen. Doch als er so angesprochen wurde, verbeugte er sich ruckartig vor Jamie.
»Euer Diener, Hauptmann«, sagte er und warf mir dann einen schmerzerfüllten Blick zu. Offensichtlich konnte er an nichts anderes denken als daran, daß ihm Sekunde für Sekunde mehr Blut ausgesaugt wurde.
»Bitte entschuldigt uns«, sagte ich höflich, nahm den Jungen beim Arm, führte ihn in die Hütte und schloß unter den erstaunten Gesichtern der Männer fest die Tür. William setzte sich sofort auf den Hocker, auf den ich zeigte, und streckte zitternd die Beine aus.
»Schnell!« sagte er. »Oh, bitte, bitte, schnell!«
Es gab kein gemahlenes Salz; ich ergriff mein Wurzelmesser und spaltete in rücksichtsloser Hast ein Stück vom Block ab, warf es in
meinen Mörser und zertrümmerte es mit ein paar schnellen Schlägen des Stößels in Klümpchen. Ich zerbröselte die Körner zwischen meinen Fingern und bestreute die Blutegel dick mit Salz.
»Nicht sehr angenehm für die armen Blutegel«, sagte ich, als ich sah, wie sich das erste Tier langsam zu einer Kugel zusammenrollte. »Aber es funktioniert.« Der Blutegel ließ los und purzelte von Williams Bein, auf ähnliche Weise von seinen Kameraden gefolgt, die sich in Zeitlupe schmerzerfüllt auf dem Boden wanden.
Ich sammelte die Tierchen auf und warf sie in das Feuer. Dann kniete ich mich vor ihn und hielt taktvoll den Kopf gesenkt, während er sein Gesicht unter Kontrolle brachte.
»Komm, ich kümmere mich um die Bißstellen.« Blut lief ihm in kleinen Rinnsalen über die Beine; ich betupfte sie mit einem sauberen Tuch und wusch die Wunden dann mit Essig und Johanniskraut aus, um die Blutung zu stoppen.
Er gab einen tiefen, bebenden Seufzer der Erleichterung von sich, als ich seine Schienbeine abtrocknete. »Eigentlich habe ich keine Angst vor - vor Blut«, sagte er in einem tapferen Tonfall, der es deutlich machte, daß er genau davor Angst hatte. »Aber sie sind so scheußliche Kreaturen.«
»Eklige kleine Biester«, pflichtete ich ihm bei. Ich stand auf, nahm ein sauberes Tuch, tauchte es ins Wasser und wusch ihm ganz selbstverständlich das Gesicht. Ohne ihn zu fragen, ergriff ich dann meine Bürste und kämmte ihm die Knoten aus den Haaren.
Er machte ein völlig verblüfftes Gesicht, als ich so vertraut mit ihm umging, doch eine anfängliche Versteifung seiner Wirbelsäule war sein einziger Einwand, und als ich begann, ihm das Haar zu frisieren, seufzte er erneut leise und ließ seine Schultern ein wenig vornüberfallen.
Seine Haut strahlte eine angenehme, lebendige Wärme aus, und meine Finger, immer noch kühl vom Bach, erwärmten sich behaglich, als ich die weichen Strähnen seines seidigen Kastanienhaars glättete. Es war sehr dicht und leicht gewellt. Er hatte einen Wirbel auf dem Kopf, ein sanfter Strudel, der mir ein leichtes Schwindelgefühl verursachte; Jamie hatte den gleichen Wirbel an der gleichen Stelle.
»Ich habe mein Haarband verloren«, sagte er und blickte sich unbestimmt um, als könnte ein solches aus dem Brotkasten oder dem Tintenfaß auftauchen.
»Das macht nichts; ich leihe dir eins.« Ich flocht sein Haar zu Ende und band es mit einem Stückchen gelbem Band zusammen. Dabei empfand ich einen seltsamen Beschützerinstinkt.
Ich hatte erst vor ein paar Jahren von seiner Existenz erfahren, und wenn ich in der Zwischenzeit überhaupt an ihn gedacht hatte, dann hatte ich höchstens leichte Neugier gespürt, vermischt mit Ablehnung. Doch jetzt hatte etwas - vielleicht seine Ähnlichkeit mit meinem eigenen Kind, seine Ähnlichkeit mit Jamie, oder die schlichte Tatsache, daß ich mich irgendwie um ihn gekümmert hatte - bei mir ein seltsames
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