Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Ruf Der Trommel

Titel: Der Ruf Der Trommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
Vom Netzwerk:
ist er Mueller ganz allein wie der Teufel hinterhergeritten und hat ihn zwei Stunden später gefunden - bewußtlos am Straßenrand.«
    Der hünenhafte, alte Bauer hatte offenbar auf seiner Jagd nach
Rache tagelang nichts gegessen. Maßlosigkeit war keine Schwäche, die man bei den Lutheranern fand. Doch so müde und aufgewühlt, wie er war, hatte Mueller nach seiner Rückkehr reichlich getrunken, und die enormen Biermassen, die er konsumiert hatte, waren zuviel für ihn gewesen. Vom Alkohol überwältigt hatte er es noch geschafft, sein Maultier anzubinden, hatte sich dann aber in seinen Rock gehüllt und war unter der Kriechenden Heide am Straßenrand eingeschlafen.
    Der Pastor hatte keinen Versuch unternommen, Mueller zu wekken, denn er kannte das Temperament des Mannes gut und hatte nicht das Gefühl, daß Alkohol es verbessern würde. Statt dessen war Gottfried seinerseits aufs Pferd gestiegen und war losgeritten, so schnell er konnte, im Vertrauen darauf, daß ihn die Vorsehung schon rechtzeitig hier eintreffen lassen würde, um uns zu warnen.
    Er hatte keinen Zweifel gehabt, daß mein Mann in der Lage sein würde, unabhängig von Muellers Geisteszustand oder Absicht mit diesem fertig zu werden, aber da er nicht da war…
    Pastor Gottfried blickte hilflos von mir zu Lord John und wieder zurück.
    Auf Deutsch legte er uns nahe wegzugehen, und verdeutlichte uns, was er meinte, in dem er mit einem Ruck seines Kopfes auf die Koppel wies.
    »Ich kann nicht fort«, sagte ich. Ich deutete auf das Haus und erklärte ihm in gebrochenem Deutsch, daß mein Neffe krank sei.
    Lord John verbesserte meine Bemühungen ungeduldig und stellte dem Pastor eine weitere Frage.
    Dieser schüttelte den Kopf, und seine Sorge verwandelte sich in Erschrecken.
    »Er hat die Masern noch nicht gehabt«, sagte Lord John an mich gewandt. »Er darf also nicht hierbleiben, sonst läuft er Gefahr, sich anzustecken, nicht wahr?«
    »Ja.« Der Schock begann nachzulassen, und ich fing an, mich zusammenzureißen. »Ja, er sollte sofort gehen. Eure Nähe ist nicht gefährlich für ihn, Ihr seid nicht mehr ansteckend. Ian dagegen schon.« Ich unternahm einen vergeblichen Versuch, mein Haar zu glätten, das mir zu Berge stand - kein Wunder, dachte ich. Dann fielen mir die Skalpe an Muellers Scheunentor ein, und mir standen wirklich die Haare zu Berge. Über meine eigene Kopfhaut lief vor Schreck eine Gänsehaut.
    Lord John sprach im Befehlston mit dem kleinen Pastor und drängte ihn zu seinem Pferd, indem er ihn am Ärmel zog. Gottfried legte Protest
ein, doch der wurde schwächer und schwächer. Er blickte zu mir zurück, das runde Gesicht voller Sorge.
    Ich versuchte, ihm beruhigend zuzulächeln, doch ich war genauso beunruhigt wie er.
    »Danke«, sagte ich. »Sagt ihm, uns wird schon nichts geschehen, ja?« sagte ich zu Lord John. »Sonst geht er nicht.« Er nickte kurz.
    »Das habe ich schon. Ich habe ihm gesagt, daß ich Soldat bin; daß ich nicht zulasse, daß Euch etwas zustößt.«
    Der Pastor blieb stehen, die Zügel in der Hand, und sprach ernst mit Lord John. Dann ließ er die Zügel fallen, wandte sich entschlossen um und kam über den Hof zu mir. Er streckte die Hand aus und legte sie sanft auf meinen zerzausten Kopf.
    Er sprach zwei deutsche Worte und fügte die lateinische Übersetzung an. »Benedicite«, sagte er.
    »Er hat gesagt -«, begann Lord John.
    »Ich verstehe.«
    Wir standen schweigend vor der Tür und sahen zu, wie Gottfried durch den Kastanienhain ritt. Der Friede hier draußen kam mir unpassend vor, die sanfte Herbstsonne auf meinen Schultern und die Vögel, die in den Wipfeln der Bäume saßen. Ich hörte in der Ferne einen Specht klopfen, und die Spottdrosseln, die in der großen Blaufichte hausten, sangen ein fließendes Duett. Keine Eulen, aber natürlich gab es jetzt keine Eulen; es war Vormittag.
    Wer? frage ich mich, als mir ein anderer Aspekt der Tragödie mit Verspätung in den Sinn kam. Wer war das Ziel von Muellers blinder Rache gewesen? Der Hof der Muellers lag mehrere Tagesritte von der Bergkette entfernt, die das Indianerterritorium von den Siedlungen trennte, doch je nachdem, wohin er sich gewendet hatte, konnte er mehrere Dörfer der Tuscarora oder Cherokee erreicht haben.
    War er in ein Dorf eingedrungen? Und wenn, wieviel Blutvergießen hatten er und seine Söhne hinterlassen? Schlimmer noch, wieviel Blutvergießen würde daraus entstehen?
    Mich schauderte, und trotz des Sonnenscheins wurde mir kalt.

Weitere Kostenlose Bücher