Der Ruf Der Trommel
gewesen, daß die Wälder von Indianern, Bären und anderen Waldbewohnern bevölkert waren, doch diese ganz allgemeine Vorstellung war plötzlich dem konkreten und ganz akuten Bewußtsein gewichen, daß wir leicht - und unerwartet - mit irgendwelchen dieser Bewohner zusammentreffen konnten, von Angesicht zu Angesicht.
»Was wird aus ihnen? Den Indianern?« fragte Jamie neugierig, während er genau wie ich in die Dunkelheit blickte, als versuchte er, die Zukunft in den schwankenden Schatten zu lesen. »Sie werden besiegt und vertrieben, nicht wahr?«
Mich überlief wieder ein leichtes Zittern, und meine Zehen krampften sich zusammen.
»Ja«, sagte ich. »Umgebracht, viele von ihnen. Oder gefangengenommen und eingesperrt.«
»Das ist doch gut.«
»Ich schätze, das hängt sehr vom Standpunkt ab«, sagte ich ziemlich trocken. »Ich glaube nicht, daß die Indianer das auch so sehen.«
»Kann schon sein«, sagte er. »Aber wenn ein verdammter Wilder mit aller Kraft versucht, mir die Kopfhaut abzusägen, interessiert mich sein Standpunkt nicht besonders, Sassenach.«
»Das kannst du ihnen aber nicht zum Vorwurf machen«, protestierte ich.
»Kann ich wohl«, versicherte er mir. »Wenn dich einer von den Kerlen skalpiert, werde ich ihm alles mögliche zum Vorwurf machen.«
»Äh… hmm«, sagte ich. Ich räusperte mich und machte noch einen Versuch.
»Was, wenn ein Haufen Fremder ankäme und versuchte, dich umzubringen oder dich von dem Boden zu vertreiben, auf dem du immer gelebt hast?«
»Schon geschehen«, sagte er sehr trocken. »Sonst wäre ich noch in Schottland, aye?«
»Hmm…« Ich kam ins Schwimmen. »Aber ich meine doch nur - du würdest unter diesen Umständen doch auch kämpfen, oder?«
Er holte tief Luft und atmete kräftig durch die Nase aus.
»Wenn ein englischer Dragoner zu meinem Haus käme und Ärger machte«, sagte er wohlüberlegt, »würde ich mich gegen ihn verteidigen. Ich würde auch nicht eine Sekunde lang zögern, ihn umzubringen. Ich würde ihm weder das Haar abschneiden und es durch die Luft schwenken, noch würde ich seine Genitalien essen. Ich bin kein Barbar, Sassenach.«
»Das habe ich auch nicht gesagt«, protestierte ich. »Ich habe nur gesagt, daß -«
»Außerdem«, sagte er mit unumstößlicher Logik, »habe ich nicht vor, irgendwelche Indianer umzubringen. Wenn sie mich in Ruhe lassen, werde ich ihnen auch nichts tun.«
»Sie werden sicher froh sein, das zu hören«, murmelte ich und gab für den Augenblick auf.
Wir lagen aneinandergeschmiegt in der Felsmulde, sanft vom Schweiß verklebt, und beobachteten die Sterne. Ich war unvorstellbar glücklich und zugleich ein wenig mißtrauisch. Konnte dieser Glückszustand wirklich andauern? Einst hatte ich das »für immer« zwischen uns als selbstverständlich betrachtet, doch damals war ich noch jünger.
So Gott wollte, würden wir uns bald niederlassen, den Ort finden, wo wir uns ein Heim, ein Leben aufbauen konnten. Das war alles, was ich wollte, doch gleichzeitig kamen mir Zweifel. Seit meiner Rückkehr hatten wir erst ein paar Monate miteinander verbracht. Jede Berührung, jedes Wort war immer noch in Erinnerungen gehüllt und gleichzeitig eine Neuentdeckung. Was würde geschehen, wenn wir uns gründlich aneinander gewöhnt hatten und den Alltag und seine Routine teilten?
»Meinst du, daß du meiner überdrüssig wirst?« murmelte er. »Wenn wir uns niedergelassen haben?«
»Ich habe mich gerade umgekehrt dasselbe gefragt.«
»Nein«, sagte er, und ich hörte das Lächeln in seiner Stimme. »Bestimmt nicht, Sassenach.«
»Woher weißt du das?« fragte ich.
»Ich war es nie«, erinnerte er mich. »Damals. Wir waren drei Jahre verheiratet, und ich habe dich am letzten Tag noch genauso begehrt wie am ersten. Vielleicht sogar mehr«, fügte er leise hinzu. Genau wie
ich dachte er an unseren letzten Liebesakt, bevor er mich durch die Steine geschickt hatte.
Ich beugte mich herab und küßte ihn. Er schmeckte sauber und frisch und hatte noch etwas vom durchdringenden Geruch des Geschlechtsaktes an sich.
»Ich auch.«
»Dann mach dir keine Sorgen, Sassenach, und ich mach’ mir auch keine.« Er berührte mein Haar und strich mir die feuchten Locken aus der Stirn. »Ich glaube, ich könnte mein Leben lang mit dir zusammensein und dich immer noch lieben. Und obwohl ich schon so oft bei dir gelegen habe, überrascht du mich manchmal immer noch, so wie heute nacht.«
»Ja? Was habe ich denn getan?« Ich starrte zu ihm
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