Der Ruf Der Trommel
dann…« Er schluckte.
»Dann habe ich Euch gesehen - und Ihr saht so stolz und edel und freundlich aus - und ich dachte, vielleicht sind meine Gebete erhört worden. Oh, Ma’am, ich bitte Euch, ignoriert das Flehen eines Vaters nicht. Nehmt sie!«
»Aber ich fahre nach Amerika! Ihr würdet sie nie…« Sie biß sich auf die Lippe. »Ich meine, Ihr würdet sie - sehr lange nicht mehr wiedersehen.«
Jetzt wurde der verzweifelte Vater vollständig weiß. Er schloß die Augen und schien leicht zu schwanken und in die Knie zu gehen.
»Die Kolonien?« flüsterte er. Dann öffnete er die Augen wieder und biß die Zähne zusammen.
»Mir ist lieber, sie verläßt mich für immer und geht in die Wildnis, als daß sie vor meinen Augen entehrt wird.«
Brianna hatte keine Ahnung, was sie darauf erwidern sollte. Sie blickte hilflos über den Kopf des Mannes hinweg auf das Meer der auf- und abwippenden Köpfe.
»Äh… Eure Tochter… welche…?«
Das Flackern der Hoffnung in seinen Augen wurde zu einer offenen Flamme von erschreckender Intensität.
»Gott segne Euch, meine Dame! Ich bringe sie sofort zu Euch!«
Er drückte ihr heftig die Hand und schoß dann in die Menge. Sie blieb zurück und starrte ihm nach. Im nächsten Augenblick zuckte sie hilflos mit den Achseln und bückte sich, um ihr am Boden liegendes Halstuch aufzuheben. Wie war das nur gekommen? Und was in Gottes Namen würde ihr Onkel und ihr Vetter sagen, wenn sie…
»Das ist Elizabeth«, verkündete eine atemlose Stimme. »Tu, was sich bei einer Dame gehört, Lizzie.«
Brianna sah nach unten und stellte fest, daß ihr die Entscheidung abgenommen war.
»O je«, murmelte sie beim Anblick des ordentlichen Scheitels in der Mitte des kleinen Kopfes, der sich tief vor ihr verneigte. »Eine Welpe.«
Der Kopf kam wieder hoch und sie sah sich einem schmalen, ausgehungert aussehenden Gesicht gegenüber, in dem angstvolle, graue Augen den Großteil des vorhandenen Platzes einnahmen.
»Eure Dienerin, Ma’am«, sagte der kleine, blaßlippige Mund. Oder zumindest sah es so aus, als hätte sie das gesagt; das Mädchen sprach so leise, daß sie bei all dem Lärm nicht zu hören war.
»Sie wird Euch eine gute Dienerin sein, Ma’am, wirklich!»Die eifrige Stimme des Vaters war besser verständlich. Sie sah ihn an; es bestand eine starke Ähnlichkeit zwischen Vater und Tochter, beide hatten das gleiche feine, blonde Haar, die gleichen schmalen, verschreckten Gesichter. Sie waren beinahe gleich groß, doch das Mädchen war so schmal, daß sie wie der Schatten ihres Vaters wirkte.
»Äh…hallo.« Sie lächelte das Mädchen an und versuchte, einen beruhigenden Eindruck zu machen. Das Mädchen legte angstvoll den Kopf zurück und sah zu ihr hinauf. Sie schluckte sichtbar und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.
»Ah…wie alt bist du, Lizzie? Darf ich dich Lizzie nennen?»
Der kleine Kopf nickte auf einem Hals, der aussah wie der Stengel eines Wildpilzes; lang, farblos und grenzenlos zerbrechlich. Das Mädchen flüsterte etwas, das Brianna nicht hörte; sie sah den Vater an, der bereitwillig antwortete.
»Vierzehn, Ma’am. Aber sie kann außerordentlich gut kochen und nähen, ist sehr sauber, und Ihr werdet keine gehorsamere und willigere Seele finden!«
Er stand hinter seiner Tochter, hatte die Hände auf ihre Schultern gelegt, und sein Griff war so fest, daß seine Fingerknöchel weiß durchschienen. Sein Blick traf Briannas. Seine Augen waren blaßblau und flehend. Seine Lippen bewegten sich - tonlos, doch sie hörte ihn deutlich.
»Bitte«, sagte er.
Hinter ihm konnte Brianna ihren Onkel sehen, der in die Halle gekommen war. Er sprach mit Jamie, der glatthaarige und der Lockenkopf in leiser Unterhaltung einander zugeneigt. Eine Sekunde noch, dann würden sie sie suchen.
Sie holte tief Luft und richtete sich zu voller Größe auf. Also gut, und wenn man es bei Licht betrachtete, dachte sie, dann war sie genausosehr eine Fraser wie ihr Vetter. Sollten sie doch herausfinden, wie stur ein Felsbrocken wirklich sein konnte. Sie lächelte das Mädchen an, streckte ihr die Hand hin und bot ihr die zweite, unangetastete Pastete an.
»Abgemacht, Lizzie. Willst du es mit einem Bissen besiegeln?«
»Sie hat mein Essen verspeist«, sagte Brianna mit aller Selbstsicherheit, die sie aufbringen konnte. »Sie gehört zu mir.«
Zu ihrer großen Überraschung setzte diese Feststellung dem Streit endlich ein Ende. Ihr Vetter sah zwar so aus, als wollte er
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