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Der Ruf Der Trommel

Titel: Der Ruf Der Trommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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meine ich. Die Leere in ihm zu füllen.« Er berührte geistesabwesend sein verstümmeltes Bein. »Jamie hat Laoghaire aus Mitleid geheiratet, glaube ich - und wenn sie ihn wirklich gebraucht hätte - aye, na ja.« Er zuckte erneut die Achseln und lächelte sie an.
    »Es hat keinen Zweck, darüber zu sinnieren, was hätte geschehen können oder sollen, nicht wahr? Aber er war schon einige Zeit vor der Rückkehr deiner Mutter aus Laoghaires Haus ausgezogen, das solltest du wissen.«
    Brianna spürte einen schwachen Sog der Erleichterung. »Oh. Das ist gut zu wissen. Und meine Mutter - als sie zurückkam…«
    »Er war sehr glücklich, sie zu sehen«, sagte Ian schlicht. Diesmal erhellte das Lächeln sein ganzes Gesicht wie Sonnenschein. »Und ich auch.«

35
    Bon Voyage
    Sie fühlte sich unangenehm an das städtische Tierheim von Boston erinnert. Ein großer, dunkler Raum, von dessen Dachsparren es winselnd widerhallte und dessen Luft voller Tiergerüche hing. Das riesige Gebäude auf dem Marktplatz in Inverness beherbergte viele Unternehmen - Essensverkäufer, Viehmakler, Versicherungsagenten, Schiffsausrüster und Rekrutierungsoffiziere der Königlichen Marine, doch es war die in einer Ecke zusammengedrängte Gruppe von Männern, Frauen und Kindern, die der Illusion die größte Kraft verlieh.
    Hier und dort standen ein Mann oder eine Frau aufrecht inmitten der Gruppe und drängten sich nach vorn, das Kinn vorgestreckt und die Schultern gerade, um ihre gute Gesundheit und geistige Kraft unter Beweis zu stellen. Doch der größte Teil dieser Menschen, die sich selbst zum Verkauf anboten, betrachtete die Vorbeigehenden argwöhnisch mit pfeilschnellen Blicken, deren Ausdruck zwischen Hoffnung und Angst erstarrt war - und sie allzusehr an die Hunde im Tierheim erinnerte, in das ihr Vater sie mitgenommen hatte, damit sie sich ein Haustier aussuchte.
    Es hockten auch mehrere Familien mit Kindern dort, die sich an ihre Mütter klammerten oder ausdruckslos neben ihren Eltern verharrten. Brianna versuchte, den Blick abzuwenden; es waren schon immer die Welpen gewesen, die ihr das Herz gebrochen hatten.
    Der kleine Jamie umkreiste die Gruppe langsam und hielt den Hut gegen seine Brust gepreßt, damit er nicht von der Menge zerdrückt wurde. Er hatte die Augen halb geschlossen, während er das Angebot studierte. Ihr Onkel Ian war zum Schiffahrtsbüro gegangen, um ihre Überfahrt nach Amerika zu arrangieren, und hatte es ihrem Vetter überlassen, einen Bediensteten auszusuchen, der sie auf der Reise begleiten sollte. Sie hatte vergeblich eingewandt, daß sie keinen Bediensteten brauchte; schließlich war sie - nach allem, was sie wußten - auch allein von Frankreich nach Schottland gereist und dabei in keinerlei Gefahr gewesen.

    Die Männer hatten genickt und gelächelt und alle Zeichen höflicher Aufmerksamkeit an den Tag gelegt - und hier war sie nun und folgte Jamie gehorsam durch die Menschenmenge wie eins von Jennys Schafen. Langsam wurde ihr klar, was genau ihre Mutter gemeint hatte, als sie die Frasers mit »stur wie Felsbrocken« beschrieben hatte.
    Trotz des Aufruhrs, der sie umgab, und ihrer Verärgerung über ihre männlichen Verwandten tat ihr Herz bei dem Gedanken an ihre Mutter einen kleinen, aufgeregten Sprung. Erst jetzt, da sie mit Sicherheit wußte, daß es ihrer Mutter gutging, konnte sie sich eingestehen, wie schmerzlich sie sie vermißt hatte. Und ihren Vater - jenen unbekannten Highlander, der für sie so plötzlich und unmittelbar lebendig geworden war, als sie seine Briefe gelesen hatte. Die Tatsache, daß ein Ozean zwischen ihnen lag, schien kaum mehr als eine kleine Unannehmlichkeit zu sein.
    Ihr Vetter Jamie unterbrach ihre verträumten Gedanken, indem er ihren Arm ergriff und sich zu ihr hinüberbeugte, um ihr ins Ohr zu rufen.
    »Der Kerl da drüben mit der Augenklappe«, sagte er in einem gedämpften Bellton und zeigte mit dem Kinn auf den fraglichen Herrn. »Was hältst du von ihm, Brianna?«
    »Ich würde sagen, er sieht aus wie der Würger von Boston«, murmelte sie, dann rief sie lauter in das Ohr ihres Vetters »Er sieht aus wie ein Ochse! Nein!«
    »Er ist kräftig, und er sieht ehrlich aus!«
    Brianna fand, daß der fragliche Herr zu dumm aussah, um un ehrlich zu sein, doch sie sah davon ab, es auszusprechen, und schüttelte nur nachdrücklich den Kopf.
    Jamie zuckte stoisch mit den Achseln und nahm seine Betrachtung der potentiellen Leibeigenen wieder auf. Er umkreiste diejenigen, die ihn

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