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Der Ruf Der Trommel

Titel: Der Ruf Der Trommel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Gabaldon
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durchsickernde Blut schwarz.
    Père Alexandre bewegte sich in ständigen, kleinen Zuckungen, und der Schmerz seiner Wunde war zugleich der Grund für die Ruhelosigkeit seines Körpers als auch ein ständiger Hemmschuh. Er hatte überhaupt keine Möglichkeit, sich dem Schlaf zu überlassen, und demzufolge ging es Roger genauso. Er war sich jeder unaufhaltsam verstreichenden Minute fast genauso schmerzhaft wie der Priester bewußt.
    Roger verfluchte sich für seine Hilflosigkeit; er hätte alles gegeben, um den Schmerz des anderen Mannes zu lindern, und sei es nur für einen Augenblick. Es war nicht nur Mitgefühl, und er wußte es; Père Alexandres kurze, atemlose Geräusche hielten das Bewußtsein seiner Verstümmelung in Roger wach und den Schrecken in seinen Adern lebendig. Wenn der Priester nur schlafen könnte, dann würden die Geräusche aufhören - und vielleicht würde im Dunkeln das Grauen ein wenig zurückweichen.
    Zum ersten Mal glaubte er zu verstehen, was Claire Randall antrieb; was sie bewegte, auf Schlachtfelder zu gehen und Verwundeten ihre Hände aufzulegen. Anderen die Schmerzen und den Tod zu erleichtern bedeutete, die eigene Angst zu lindern - und er würde beinahe alles tun, um seine Angst zu mindern.
    »Psst«, sagte er, die Lippen nah an Père Alexandres Kopf. Er hoffte, daß er die Seite mit dem Ohr hatte. »Beruhigt Euch. Reposez-vous. «

    Der magere Körper des Priesters erzitterte neben dem seinen, die Muskeln vor Kälte und Agonie verkrampft. Roger massierte dem Mann fest den Rücken, scheuerte mit den Handflächen über seine unterkühlten Gliedmaßen und zog die beiden zerlumpten Hirschfelle über sie beide.
    »Euch geschieht nichts.« Roger sprach Englisch, denn ihm war klar, daß es keine Rolle spielte, was er sagte, nur daß er überhaupt etwas sagte. »Aber, aber, es ist alles in Ordnung. Ja, macht ruhig weiter.« Seine Worte dienten mindestens so sehr seiner eigenen Ablenkung wie der des anderen Mannes; Alexandres nackten Körper zu spüren, war vage schockierend - weil es sich nicht unnatürlich anfühlte und es gleichzeitig doch tat.
    Der Priester klammerte sich an ihn, den Kopf an seine Schulter gepreßt. Er sagte nichts, doch Roger konnte die Feuchtigkeit von Tränen auf seiner Haut spüren. Er überwand sich dazu, den Priester fest in den Arm zu nehmen, massierte ihn entlang der Wirbelsäule mit ihren kleinen, knochigen Vorsprüngen und zwang sich dazu, nur daran zu denken, wie er das fürchterliche Zittern stoppen konnte.
    »Ihr könntet ein Hund sein«, sagte Roger. »Irgendein mißhandelter Streuner. Ich würde es tun, wenn Ihr ein Hund wärt, natürlich würde ich das. Nein, würde ich nicht«, murmelte er vor sich hin. »Sondern den verdammten Tierschutzverein anrufen, schätze ich.«
    Er streichelte Alexandres Kopf, achtete sorgsam darauf, wohin seine Finger wanderten, zitternd vor Gänsehaut bei der Vorstellung, zufällig jene rohe, blutige Stelle zu berühren. Das Haar im Nacken des Priesters war schweißverklebt, obwohl sich die Haut an seinem Hals und seinen Schultern wie Eis anfühlte. Sein Unterkörper war wärmer, aber nicht viel.
    »Niemand würde einen Hund so behandeln«, brummte er. »Verdammte Wilde. Man sollte ihnen die Polizei auf den Hals schicken. Ihre verdammten Bilder in der Times bringen. Sich beim Petitionsausschuß beschweren.«
    Etwas, das viel zu verängstigt war, um sich Lachen zu nennen, durchlief ihn in einer Welle. Er packte den Priester heftig und wiegte ihn im Dunkeln vor und zurück.
    »Reposez-vous, mon ami. C’est bien, là, c’est bien.«

55
    Gefangen II
    River Run, März 1770
    Brianna drehte den feuchten Pinsel am Rand der Palette entlang und drückte das überschüssige Terpentin aus, um eine brauchbare Spitze zu formen. Sie tauchte die Spitze kurz in die Mischung aus Chromgrün und Kobaltblau und fügte dem Flußufer eine feine Schattenlinie hinzu.
    Hinter ihr auf dem Pfad erklangen Schritte, die aus der Richtung des Hauses kamen. Sie erkannte den ungleichmäßigen Zweierschritt; es waren die Fürchterlichen Zwei. Sie verspannte sich ein wenig und unterdrückte den Drang, sich ihre feuchte Leinwand zu schnappen und sie hinter Hector Camerons Mausoleum außer Sichtweite zu befördern. Jocasta störte sie nicht; sie kam oft und setzte sich zu ihr, wenn sie morgens malte, um mit ihr über Maltechniken, die Herstellung von Pigmenten und ähnliches zu diskutieren. Eigentlich freute sie sich sogar über die Gesellschaft ihrer Tante und

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