Der Ruf Der Trommel
Wirklichkeit wieder an und begann, normal weiterzulaufen. Ihre Muskeln zitterten, denn ihre Fasern hatten sich in Wackelpudding verwandelt. Sie stellte den fleckigen Gewehrkolben auf den Boden, um sich darauf zu stützen.
»Was habt Ihr gesagt?«
Ungeduld flackerte über sein Gesicht.
»Ich habe gesagt, wir haben keine Zeit zu verlieren. Habt Ihr nicht gehört, wie der Mann gesagt hat, daß die Lunten brennen?«
»Was für Lunten? Wieso?« Sie sah seinen Blick zu der Tür in ihrem Rücken schnellen. Bevor er sich bewegen konnte, trat sie zurück in den Türdurchgang und hob den Gewehrlauf. Er wich instinktiv vor ihr zurück und stieß mit den Rückseiten seiner Beine an die Bank. Er
fiel nach hinten und stieß an die Ketten, die an der Wand befestigt waren; leere Handeisen klirrten gegen den Backstein.
Der Schock begann, sich über sie zu stehlen, doch die Erinnerung an den weißglühenden Strom brannte immer noch in ihrem Rückgrat und hielt sie aufrecht.
»Ihr habt doch wohl nicht vor, mich umzubringen?« Er versuchte zu lächeln, doch es gelang ihm nicht; er konnte die Panik nicht ganz aus seinem Blick verbannen. Sie hatte gesagt, daß sie besser schlafen würde, wenn er tot war.
Die Freiheit ist schwer zu erringen, doch sie ist niemals die Frucht eines Mordes. Jetzt hatte sie ihre schwer erkämpfte Freiheit, und sie würde sie ihm nicht zurückgeben.
»Nein«, sagte sie und umfaßte das Gewehr fester, den Kolben fest in ihre Schulter geschmiegt. »Aber bei Gott, ich werde Euch in die Knie schießen und Euch hierlassen, wenn Ihr mir nicht auf der Stelle sagt, was zum Teufel hier vor sich geht!«
Er verlagerte sein Gewicht; sein kräftiger Körper schwebte in der Hocke, die blassen Augen auf sie gerichtet, abschätzend. Sie blockierte den kompletten Durchgang, ihre massige Gestalt füllte ihn von einer Wand bis zur anderen aus. Sie sah den Zweifel in seiner Haltung, die Anspannung seiner Schultern, als er daran dachte, sie zu überrennen, und spannte den Gewehrhahn mit einem einzigen, lauten Klick !
Er stand zwei Meter von der Mündung entfernt; zu weit weg, um es ihr mit einem Satz zu entreißen. Eine Bewegung, ein Zug ihres Fingers am Abzug. Sie konnte ihn nicht verfehlen, und er wußte es.
Seine Schultern sackten zusammen.
»Das Lagerhaus da oben ist mit Schießpulver und Lunten präpariert«, sagte er, seine Stimme schnell und scharf, begierig, es hinter sich zu bringen. »Ich kann nicht sagen, wie lange noch, aber es geht gleich mit einem allmächtigen Knall hoch. Um Himmels willen, laßt mich hier heraus!«
»Warum?« Ihre Hände hielten das Gewehr, verschwitzt, aber ruhig. Das Baby bewegte sich und erinnerte sie daran, daß auch sie keine Zeit zu verlieren hatte. Doch sie würde eine Minute riskieren, um es zu erfahren. Sie mußte es um John Greys willen wissen, dessen Körper leblos hinter ihr auf dem Boden lag. »Ihr habt gerade einen wunderbaren Mann umgebracht, und ich will wissen, warum !«
Er machte eine frustrierte Geste.
»Die Schmuggelei!« sagte er. »Wir waren Partner, der Sergeant und ich. Ich habe ihm billige Schmuggelware besorgt, er hat sie mit dem
Siegel der Krone versehen. Er stahl lizensierte Ware, ich habe sie für einen guten Preis verkauft und den Erlös mit ihm geteilt.«
»Weiter.«
Er tänzelte fast vor Ungeduld.
»Ein Soldat - Hodgepile - war uns auf der Spur und hat herumgefragt. Murchison konnte nicht sagen, ob er es weitererzählt hatte, aber es war nicht klug, es darauf ankommen zu lassen, nicht, nachdem man mich festgenommen hatte. Der Sergeant hat den letzten Alkohol aus dem Lagerhaus geholt, ihn durch Terpentinfässer ersetzt und die Lunten gelegt. Alles fliegt in die Luft, niemand kann sagen, daß da etwas anderes als Brandy gebrannt hat - keine Spur von einem Diebstahl. Das ist es, das ist alles. Jetzt laßt mich gehen!«
»Gut.« Sie senkte die Muskete ein paar Zentimeter, entspannte sie aber noch nicht. »Was ist mit ihm?« Sie wies kopfnickend auf den am Boden liegenden Sergeant, der zu prusten und zu murmeln begann.
Er sah sie verständnislos an.
»Was ist mit ihm?«
»Nehmt Ihr ihn nicht mit?«
»Nein.« Er stahl sich auf die eine Seite, hielt Ausschau nach einem Weg an ihr vorbei. »Um des lieben Himmels willen, Frau, laßt mich und rettet Euch selbst! Da oben sind zwölf Zentner Pech und Terpentin. Es wird hochgehen wie eine Bombe!«
»Aber er lebt noch! Wir können ihn doch nicht hierlassen!«
Bonnet warf ihr einen völlig entnervten Blick zu
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