Der Ruf Der Walkueren
lassen, die sie selbst noch nicht kannte. Radegunde hatte ihr ins Gewissen geredet: Sie sei nur eine schwache Frau, eine leichte Beute für andere Könige, wenn sie sich nicht endlich verheirate. Als Königin müsse sie das Wohl ihrer Gefolgsleute im Auge haben. »Gunter ist kein schlechter Mann«, hatte sie gesagt. »Und er hat die Macht, dein Land – unser Land – zu schützen.« Brünhild wusste nicht mehr, was sie wollte. Aber sie konnte ihre Gäste nicht nächtelang auf eine Antwort warten lassen, die nie kam. So oder so, sie musste sich entscheiden. Und im Grunde genommen war es doch egal. Sigfrid hatte sie verraten. Ihre Seele war bereits zu Frija gegangen, die Flamme in ihrem Inneren erloschen. Was spielte es für eine Rolle, was mit der Hülle geschah?
Während ihr Herz litt, plante ihr Verstand schon wieder. Die Burg und das Svawenland könnte sie Hugbald anvertrauen. Er hatte sich als umsichtig und zäh erwiesen, mit zu wenig Fantasie vielleicht, um Außergewöhnliches zu leisten, aber durch und durch vertrauenswürdig. Radegunde wollte ihre Herrin nach Niflungenland begleiten, doch Brünhild hatte bereits beschlossen, ihr diesen Wunsch zu verweigern. Die Dienerin würde sich unter all den Fremden nicht wohlfühlen, und es genügte, wenn sie selbst unglücklich war.
Sie bemerkte die Stille in der Halle. Die Männer warteten auf eine Antwort. Wie eine Puppe richtete sie sich auf, und immer noch wusste sie nicht, was sie sagen würde. »Ich habe über Eure Worte nachgedacht, König Gunter«, begann sie, um Zeit zu gewinnen, und mied Sigfrids Blick. »Zu den genannten Bedingungen, die meinem Reich Selbstständigkeit, aber auch Euren Schutz in der Not gewähren, bin ich bereit, Euch als Weib in Eure Heimat zu folgen.«
Wann hatte sie sich dafür entschieden, die Werbung anzunehmen? Sie wusste es nicht. Vermutlich war sie einfach den Weg gegangen, der ihr die wenigste Kraft abverlangte. Verwundert lauschte sie dem Hall ihrer Stimme nach. War es nicht sonderbar, wie sie die schicksalhaften Worte aussprechen und ihrer Liebe den Todesstoß versetzen konnte, ohne auch nur zu stocken? Wie viel einfacher war es doch, ungeliebte Dinge zu tun, wenn das Leben einen bereits verlassen hatte.
Pfeifend ließ Gunter den Atem entweichen. Sie hatte ja gesagt! Sie hatte wirklich ja gesagt. Vielleicht war das Leben doch nicht so eine Last, wie er immer meinte. Überschwänglich nahm er ihre Hand. »Ihr macht mich zum glücklichsten aller Menschen«, sagte er. »Ich kann es kaum erwarten, Euch zu meiner Königin zu machen und das Land zu zeigen, das ich Euch zu Füßen lege. Lasst uns aufbrechen, sobald ihr Eure Vorkehrungen getroffen habt, damit wir noch beim nächsten Vollmond ein doppeltes Brautlauffest halten können.«
»Doppelt?«, fragte sie verständnislos.
Irritiert sah Gunter sie an. Dann hellte sich sein Gesicht auf. »Ach, natürlich, das könnt Ihr ja nicht wissen: Sigfrid wird meine Schwester zur Frau bekommen. Ich habe sie ihm versprochen, zum Dank dafür, dass er sich bei Euch für mich einsetzt.«
Kalte Ekstase
1
Vor den Gefolgsleuten hob Gunter seine zukünftige Frau vom Pferd. Zum ersten Mal spürte er ihren Körper, und es war, als würde die Wärme ihres Leibes den kalten Zauber brechen, der sein bisheriges Leben umklammert hatte. Er durfte diese wundervolle Frau den Rest seines Lebens in den Armen halten, das war mehr als genug Glück, um alles vergangene und zukünftige Leid aufzuwiegen. Unter den Freudenrufen der Menge trug er die Svawenkönigin über die Schwelle des Hauptgebäudes, unter der der Hausgeist wohnte, und führte sie einmal um das Herdfeuer, um sie in das Heil des Hauses einzuweihen.
Der Lärm verebbte, als die Kühle des Gebäudes sie umfing. Noch immer war Brünhild wie betäubt. Verschachert! Sigfrid hatte sie Gunter angeboten, um dessen Schwester zu bekommen! Die Königssippe kam herein. Brünhilds Blick glitt über die Gesichter hinweg und blieb auf der Gestalt einer jungen Frau liegen. Sie war schön. Und jung, verführerisch jung. Für diese Frau hatte Sigfrid sie also verkauft!
Grimhild versuchte, sich hinter den Rücken ihrer Brüder zu verstecken. Zwar freute sie sich über Gunters erfolgreiche Rückkehr, weil sie jetzt endlich mit Sigfrid verheiratet werden würde. Und sie war erleichtert, dass Thiotas Trank in ihrer Nähe nichts von seiner Wirkung einzubüßen schien. Doch es war etwas anderes, einer unbekannten Frau den Mann wegzunehmen, als ihr
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