Der Ruf Der Walkueren
die Kraft aufbrachte, sie in seiner eigenen Burg, in seinem eigenen Bett in die Schranken zu weisen? Müde nickte er schließlich. »Gut, es sei.« Doch ein unbehagliches Gefühl blieb. Was sollte Gutes daraus entstehen, der eigenen Frau im Schlafgemach etwas vorzumachen?
10
Alarmiert hob Brünhild den Kopf. Gunters Schritte waren anders als sonst. Verstohlen. Als habe er nicht vor, sich wie üblich fügsam neben sie zu legen. Sie griff nach ihrem Dolch. Ein Schatten, den sie mehr fühlte als sah, beugte sich über sie, ein Körper legte sich auf sie, eine Hand versuchte, sie festzuhalten. In aufwallendem Zorn stieß sie die Klinge in seinen Rücken. Sie traf etwas Weiches, doch schon schlossen sich eiserne Finger um ihr Handgelenk und entwanden ihr die Waffe. Verbissen kämpfte sie mit ihrem Gegner, schaffte es jedoch nicht, sich aus seinem Griff zu befreien. Mit dem Gewicht seines Körpers hielt er sie unten, obwohl sie sich wie eine Katze unter ihm gebärdete, tobte, biss und um sich trat. Eine Welle der Angst schnürte ihr die Kehle zu, das Gefühl des Ausgeliefertseins lähmte sie. Kämpfe!, schrie der Ring an ihrem Arm. Sie wollte Gunter die Augen auskratzen, aber gegen seine Muskelkraft kam sie nicht an. Scham brannte auf ihrer Wange. Sie war schwach, schwach, schwach.
Dann erkannte sie den Grund für das flaue Gefühl in ihrem Magen, das sie nur halbherzig kämpfen ließ. Der Körper, der sie niederzwang, löste etwas in ihr aus, ein verloren geglaubtes Sehnen. Da war ein Geruch … ein Gefühl wie von hürnener Haut an seinen Händen … Ihre Verteidigung brach zusammen. Sie wandte den Kopf beiseite und weinte leise.
Auch Sigfrid war irritiert. Der schwache Geruch nach Kiefernharz, der von ihr ausging, weckte etwas in ihm, etwas Vertrautes. Angenehme Erinnerungen, aber seltsam nebulös. Ihre Gesichter waren einander ganz nah, und obwohl er in der Finsternis nicht einmal den Hauch eines Umrisses erkennen konnte, sah er sie so deutlich vor sich, als stünde sie im Sonnenlicht. Ihr Atem, der ihm ins Gesicht schlug, ihr warmer Körper – all das beschwor etwas in ihm herauf, das er nicht zu fassen bekam. Er versuchte es, aber es entschlüpfte ihm immer wieder. Seine Hand streichelte über ihren flachen Bauch. Ohne sich Rechenschaft darüber abzulegen, beugte er sich zu ihr hinab und küsste sie. Ihre Lippen verbrannten ihn. Sein Geschlecht reagierte auf den Kuss. Da waren Gefühle in ihm, mächtig und archaisch …
Was tat er hier? Sie war Gunters Braut! Brünhild war besiegt, seine Aufgabe erfüllt. Er sollte machen, dass er fortkam! Aber er konnte einfach nicht gehen. Von einem dunklen Instinkt getrieben, fuhr er durch ihr volles Haar. Schwarz , mahnte er sich, ihr Haar ist schwarz. Das Haar, das du liebst, ist hell wie die Sonne! Seine Beschwörungsversuche waren nutzlos. Sein Körper schien einen eigenen Willen zu besitzen. Er vergrub sein Gesicht in ihrem Haar und atmete den Duft nach Kiefernharz ein. Etwas schnürte ihm das Herz ab. Seine Augen tränten. Das Verlangen, Brünhild in die Arme zu nehmen, war überwältigend.
Es kostete ihn seine ganze Selbstbeherrschung, sich aus dem Nebel freizukämpfen. Aus einem Impuls heraus zog er ihr den Ring vom Handgelenk. Den Bruchteil eines Augenblicks fragte er sich, woher er davon wusste, aber der Gedanke war zu flüchtig, als dass er ihn festhalten konnte. Er presste das Schmuckstück wie einen verloren geglaubten Schatz an sich, als er fluchtartig das Zimmer verließ.
Das tatenlose Warten war Gunter wie eine Ewigkeit vorgekommen. »Ist sie besiegt?«, fragte er.
Alles, was der Sachse hervorbrachte, war ein dumpfes »Ja!«
Gunter schrieb es dem Umstand zu, dass er abgekämpft war. Er empfand keinen Triumph über den Erfolg. Es war ehrenwidrig, was er hier tat. Wenn er gekonnt hätte, hätte er es rückgängig gemacht. Aber dazu war es zu spät. Außerdem stand auch er in der Pflicht. Hatte er Brünhild nicht selbst klargemacht, dass sie die Verantwortung dafür trugen, einen Nachkommen zu zeugen? Ob zwischen ihm und Brünhild Liebe war oder nicht, spielte dabei keine Rolle. Er gab sich einen Ruck und öffnete die Tür. Einen kurzen Moment verharrte er, wie um sich innerlich zu stählen, dann ging er hinein und schloss sie hinter sich.
Sigfrid lehnte an der Wand und weinte. Dabei wusste er nicht einmal, um welchen Verlust er trauerte. Er spürte den Ring in seiner Hand, und der Strom aus seinen Augen wurde stärker. Vorbei , schien der Ring
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