Der Ruf Der Walkueren
doch für die praktische Umsetzung des Verfahrens fehlten bisher Zeit und Geld. In der Theorie musste das Resultat ein Schwert von unerhörter Härte werden, aber ausprobiert hatte er es noch nie.
Mime traf seine Vorbereitungen. Zunächst schmiedete er eine Klinge nach bewährtem Verfahren, allerdings größer als nötig, weil er mit Materialverlust rechnete. Das Erz formte sich willig unter seinem Hammer. Ausgezeichnet! Jetzt war es an der Zeit, ein Opfer zu bringen. Der Schmied nahm einen Dolch von der Werkzeugbank und zog ihn über seinen Unterarm. Blut quoll hervor. Er hielt den Arm über den Amboss und achtete darauf, dass jeder Tropfen zischend auf das Metall fiel. Als die Quelle zu versiegen begann, drehte er das Schwert um und schnitt sich in den anderen Unterarm. Wieder tröpfelte er seinen Lebenssaft auf die Klinge und verband auf diese Weise sein Leben mit dem des Eisens. Dann hielt er das Schwert ins Schmiedefeuer und brachte es zum Glühen. Diesen Vorgang wiederholte er mehrere Male. Die Oberflächenschicht wurde allmählich zu härtbarem Stahl. Mime tauchte die Klinge in eiskaltes Wasser und wartete, bis das Metall sich abgekühlt hatte. Dann zerschlug er sie mit seinem Schmiedehammer.
Sorgsam suchte er die Einzelteile zusammen, setzte sich auf eine Bank und zerfeilte das Schwert zu kleinen Spänen. Als er fertig war, kippte er sie in einen Eimer mit Mehl, mischte alles mit Wasser gut durch und formte Klöße daraus. Nun kam die Hauptsache. Aufs Höchste gespannt ging Mime mit dem Eimer in den Gänseverschlag. Mit aufgeregtem Flügelschlagen empfingen ihn die Tiere. Es waren kleine Vögel mit weißem Bauch und grau geschecktem Gefieder, zäh und wild. Dicht an dicht drängten sie sich um den Schmied und reckten ihre Köpfe. Mime schüttete ihnen die Eisen-Mehl-Klöße vor die Füße und wartete. Misstrauisch umrundeten die Gänse die ungewohnte Nahrung, doch ihr Hunger erwies sich als stärker als ihre Vorsicht, und die Ersten machten sich bereits über die schwer verdauliche Kost her. Mime lächelte. Donar war mit ihm!
6
Mitten im Sprung traf ein gezielter Tritt den Stamm des Baumes. Sigfrid fiel auf die Füße, duckte sich und wirbelte beiseite, als müsse er einem Schlag ausweichen.
Nachdem er seinem Zorn eine Weile Luft gemacht hatte, holte ihn die Niedergeschlagenheit wieder ein. Mutlos sank er am Fuße des Baumes zusammen, zog seine Knie an und schlug die Arme darum. Er hatte doch bloß helfen wollen! Irgendwie hatte sich alles gegen ihn verschworen. Was er auch anpackte, ging schief. Er wollte seine Tapferkeit unter Beweis stellen und endete als Schmiedelehrling. Er wollte ein Meisterschwert schmieden und verbog eine Axtklinge. Nicht einmal das Füttern von Gänsen schien er recht zu machen. Unglücklich vergrub er das Gesicht in den Armen. Ob auf seines Vaters Burg oder bei Mime – überall war er nur im Weg.
Doch lange konnte er nicht trübsinnig sein. Der Wald übte seinen Zauber auf ihn aus. Es war ein schwüler Nachmittag, der Knoblauchgeruch des Bärlauchs hing in der Luft. Das Laub war feucht und roch erdig. Die Sonne schien durch das Blätterdach und gab sich alle Mühe, ein letztes Mal den dampfenden Boden zu erwärmen, ehe sie endgültig dem Winter weichen musste. Die Schatten der Bäume und ihrer Blätter zeichneten vielgestaltige Muster auf die Erde. Ein bunter Teppich aus Farnen, Gräsern und Wildblumen breitete sich unter den Eichen und Buchen aus. Die üppigen Farben, die satten Gerüche betäubten Sigfrid beinahe mit ihrer verschwenderischen Fülle. Er versuchte, mit den Augen der Rindenmaserung einer Eiche und dem verzweigten Labyrinth ihrer überirdisch liegenden Wurzeln zu folgen, und verirrte sich jedes Mal auf halber Strecke. Immer schwerer fiel es ihm, sich zu konzentrieren. Er schloss die Lider und lauschte der Stille, die sich über ihn senkte, eine vielfältige, einladende Art von Stille. Er merkte nicht, wie der Wald einen Bann über ihn legte. Sigfrid fiel in einen süßen Dämmerzustand.
Er schreckte hoch, sicher, die Berührung von Händen auf seiner Brust gespürt zu haben. Wie ein Hund witterte er in alle Richtungen. Etwas hatte sich verändert. Da waren Töne. Ein Wispern und Raunen, das ein bestrickendes Netz um ihn wob. Er hielt den Atem an, so schön war dieses Waldmurmeln, beinahe wie eine süße Melodie. Doch wenn er versuchte, der Musik mit seinen Sinnen zu folgen, entglitt sie ihm. Sigfrid wurde das Gefühl nicht los, dass Augen auf ihn gerichtet
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