Der Ruf Der Walkueren
heißt du?«
»Heißen?«, entgegnete sie verständnislos.
»Hast du keinen Namen?«
»Namen? Was ist das?«
Sigfrid überlegte. »Es ist die Essenz deiner Seele. Dein Name, das bist du.«
»Jetzt verstehe ich. Ja, ich habe einen Namen. Mein Name ist Ich«, rief sie begeistert.
»Jeder heißt Ich. Ein Name ist etwas, das dich von anderen unterscheidet.«
Sie war den Tränen nahe. »Ich weiß von keinem Namen«, schniefte sie. Ihre Stimmung schwankte so leicht wie ein Schilfrohr im Wind.
»Darf ich dir einen schenken?«, fragte er.
»Oh ja, bitte! Schenk mir einen Namen.«
Er dachte nach. Sie verhielt sich mucksmäuschenstill, um ihn nicht zu stören. »Ich hab’s«, sagte er. »Ich nenne dich Hala. Das heißt: die Verbergende, weil du dich vor mir versteckst.«
»Hala«, wiederholte sie. Dann, lauter: »Hala.« Sie wirbelte von einer Ecke des Waldes zur anderen und schrie so laut sie konnte: »Ich heiße Hala! Ich habe einen Namen.« Sie hüpfte den umgestürzten Stamm einer Buche entlang und sang: »Hala. Hala. Hala.«
»Gefällt dir der Name?«
Ein Dryadenkuss auf die Wange war die Antwort. »Hala. Halahalahala«, jubelte sie und umkreiste ihn, bis er ganz wirr im Kopf wurde. Sie war kokett und närrisch, sie war sanft und wild und naiv und weise. Sie war eine Dryade. Ihr trügerisches Wesen zog ihn in den Bann. »Tanz für mich!«, bat er.
Erschrocken floh sie ins Dickicht.
»Warum läufst du fort? Ich möchte dich doch nur tanzen sehen. Man sagt, euer Tanz sei von unvergleichlicher Schönheit.«
Als sie antwortete, war ihre Stimme traurig. »Keines Menschen Auge darf uns dabei zusehen. Wer unseren Tanz beobachtet, muss sterben.« Ihre Stimme verriet, dass sie es bedauerte. Sie hätte gern für ihn getanzt. Noch einmal spürte er ihren Kuss auf der Wange. »Lebewohl, Sonnenhaar!«
»Warte!« Er wollte sie halten, wollte soviel fragen, sich an ihrer Schönheit berauschen, doch ihr melodisches »Hala! Hala! Hala!« verlor sich in der Weite des Waldes und war schon bald verschwunden. Sigfrid hatte einen Kloß im Hals. Ein wehmütiges Gefühl überkam ihn, die Art Sehnen, die in einem aufsteigen konnte, wenn man etwas unbeschreiblich Kostbares in Händen halten durfte, von dem man wusste, dass es nicht von Dauer war. Ein flüchtiges Wunder wie eine Schneeflocke, ehe sie schmolz.
Kurz entschlossen zog er seinen Dolch. Mit raschem Schnitt trennte er eine Locke seines blonden Haares ab und klemmte sie unter die Wurzel des Baumes. »Lebewohl, Hala!«, sagte er leise.
7
Mit Spannung siebte Mime den Kot seiner Gänse. Heute musste sich erweisen, ob sein neues Verfahren etwas taugte. Er nahm die unverdauten Eisenspäne, schweißte sie zusammen und kohlte auf diese Weise jeden Feilspan zu Stahl auf. Am Ende erhielt er eine Klinge von nie gekannter Härte. Zumindest in der Theorie.
Sobald der Stahl abgekühlt war, ging er zum Bach. Sigfrid, der von einem seiner Ausflüge in den Wald zurückkehrte, kam ihm gerade recht. »Komm her!«, befahl er, drückte ihm die Klinge in die Hand und wies ihn an, sich damit in den Bach zu stellen, die Schneide stromaufwärts gerichtet.
Eigentlich war Sigfrid nicht bereit, dem Schmied so schnell zu vergeben, doch als er den funkelnden Stahl in seinen Händen hielt, vergaß er alle Vorsätze. »Was für eine Schönheit!«, rief er aus.
Der Schmied grinste.
»Ist das die Klinge für … deine Besucher?« Wie viele Menschen hatte Sigfrid eine tief verwurzelte Scheu, den Namen des Stillen Volkes auszusprechen.
Mime nickte. Dann stapfte er oberhalb des Jungen in den Bach und setzte einen Wollflausch von einem seiner Leibröcke aufs Wasser. »Du brauchst nichts zu tun, halte die Klinge einfach still.«
Stirnrunzelnd gehorchte Sigfrid, während die Strömung ihm das Wollstück entgegentrieb. Glaubte sein Meister etwa, dass –
Ungläubig verfolgte er, wie die Wolle gegen die Schneide des Schwertes trieb und von dieser säuberlich in zwei Teile zerschnitten wurde, ohne dass der Flausch auch nur sein Tempo verlangsamte.
Mit einem Schrei der Begeisterung warf Mime sich rücklings ins Wasser. Es hatte funktioniert! Jetzt wusste er genau, wie das fertige Schwert beschaffen sein würde. Das Schwert der Schwerter. Mimung .
Immer noch starrte Sigfrid auf den Stahl in seiner Hand. Kein Schwert war so scharf, dass es auch ohne den Einsatz von Muskelkraft schnitt! Vorsichtig strich er mit einem Finger über die Schneide und bemerkte überrascht das Blut, das in den Bach tropfte
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