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Der Ruf Der Walkueren

Der Ruf Der Walkueren

Titel: Der Ruf Der Walkueren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Kunz
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bildete sich Bodennebel. Dunst wand sich zwischen die Hufe von Sigfrids Hengst und durchdrang das Heidekraut. Dicke Schwaden trieben zwischen den Wacholdersträuchern und verwischten deren Umrisse. Binnen kurzem war das Land in weiße Schleier gehüllt. Sigfrid überließ es seinem Pferd, den Weg zu finden, er selbst konnte kaum zwei Schritt weit sehen.
    Mit dem Nebel kamen die Kälte und eine eigentümliche Stille. Der Nebel schluckte jeden Laut und erweckte die Illusion einer Reise durch die Welt der Toten. Sigfrid erschauerte. Es hätte ihn keineswegs überrascht, wäre plötzlich ein Trupp Einherier aus dem Nichts gekommen. Das Fehlen von Geräuschen zerrte mehr an seinen Nerven als die beschränkte Sicht. Hin und wieder musste er sich durch ein Schnalzen oder ein beruhigendes Wort an sein Pferd davon überzeugen, dass er nicht taub war.
    Während der Hengst sich seinen Weg durch das nasse Heidekraut suchte, mühte sich der Junge ab, mit den Augen das weiße Gespinst zu durchdringen. Wie ausgewaschen war das Land, ein grausilbernes Meer verschwommener Konturen. Eine einzelne Moorbirke schälte sich aus dem Dunst und verschwand wieder, sobald Pferd und Reiter sie passiert hatten.
    Als er schließlich in der Ferne einen Lichtschein entdeckte, war er mehr als erleichtert. »Komm, Schwarzer! Dort vorn erhalten wir eine anständige Mahlzeit«, sagte er.
    Er hielt auf das Licht zu, und doch schien es keinen Schritt näherzukommen. Eine Sinnestäuschung? Das Pferd wurde unruhig, scheute. Mit gespitzten Ohren und geweiteten Nüstern blieb es stehen, hob unentschlossen einen Huf, setzte ihn wieder zurück und weigerte sich weiterzugehen. Was hatte es nur? Sigfrid konnte sich auf das Verhalten des Tieres keinen Reim machen. Er stieg ab, redete beruhigend auf den Hengst ein und ging zu Fuß weiter, das Pferd am Zügel hinter sich herführend.
    Das Licht hatte sich bewegt! Oder? Wie angewurzelt blieb Sigfrid stehen. Doch, es war jetzt viel weiter links! Und da! Ein zweites Licht tauchte auf, rechts von ihm. Auch dieses bewegte sich. Und noch zwei! Das konnte keine Hütte sein. Vielleicht Leute mit Fackeln, die sich, wie er, verirrt hatten. »Heda!«, rief er. Die Leute schienen ihn nicht zu hören. Sigfrid folgte den phosphoreszierenden Flammen immer tiefer in den Nebel. Mehrfach wechselten sie die Richtung, und er schritt schneller aus, um sie nicht zu verlieren.
    Als er das saugende Gefühl unter seinen Füßen spürte, war es fast zu spät. Instinktiv warf sich Sigfrid herum und bekam einen Strauch zu fassen, doch der tückische Untergrund zerrte bereits an seinen Beinen. Hand über Hand zog sich der Junge an dem Strauch empor, während er gegen die lähmende Vorstellung ankämpfte, unter dem trügerischen Boden ein nasses Grab zu finden. Eine undeutliche Stimme befahl ihm, um sich zu treten, was dem ungleichen Kampf mit Sicherheit ein rasches und tödliches Ende bereitet hätte. Es kostete ihn seine ganze Selbstbeherrschung, ihr zu widerstehen und sich allein auf die Kraft seiner Arme zu verlassen. Die Wurzeln des Strauches gaben nach. Zieh! , schrie die Stimme, und an seinem Arm glühte es heiß. Wieder schenkte Sigfrid dem Befehl keine Beachtung, sondern zwang sich zu vorsichtigen Bewegungen. Es war ein stummes, verbissenes Ringen auf Leben und Tod zwischen ihm und dem Moor, und eine Weile sah es so aus, als würde er unterliegen. Doch endlich gelang es ihm, sich auf festen Grund zu ziehen. Der Sumpf gab gurgelnde Geräusche von sich, als er das sicher geglaubte Opfer loslassen musste, und behielt nur einen Stiefel bei sich.
    Noch immer tanzten die Flammen auf und ab und versuchten, ihn in den Sumpf zu locken. Sigfrid griff nach seinem Amulett. Irrlichter! Tückboten, die ihn ins Verderben führen wollten! Auf allen vieren tastete er sich zu seinem Pferd zurück, am ganzen Leib zitternd. Als er endlich in der Lage war, seinen Weg in seitlicher Richtung fortzusetzen, prüfte er jeden Schritt, bis er nach einer endlos scheinenden Zeit einen Bohlensteg fand und schließlich sicheres Gelände erreichte. Erst hier gestattete er sich, erschöpft zu Boden zu sinken.
    Nervös tänzelte der Hengst auf der Stelle. Diesmal schenkte Sigfrid den Warnsignalen mehr Aufmerksamkeit. Das Pferd flehmte, saugte mit vorgestrecktem Kopf Luft ein. Desorientiert bewegten sich seine Ohren nach allen Seiten und blieben schließlich in verschiedenen Richtungen stehen. Sigfrid stand auf und legte ihm die Hand auf die Nüstern, aber es ließ sich

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