Der Ruf Der Walkueren
nicht beruhigen. Seine Mähne war verfilzt, sein Schweif in wirre Knoten verdreht. Alb zöpfe. Es mussten Schwarzalben in der Nähe sein!
Nebelschwaden erzeugten die Illusion von Schatten, die näherkamen, ihn umkreisten und einschlossen. Sigfrid ruckte nach links. War da nicht etwas gewesen? Ein Luftzug, eine Bewegung? Er starrte in die undurchdringliche weiße Wand. Spielte ihm seine Fantasie einen Streich? Nein – ein schemenhafter Umriss glitt durch den Nebel und war schon wieder mit der Umgebung verschmolzen.
Ein Kichern drang aus dem Ungreifbaren und ließ Sigfrid zusammenfahren.
Überstürzt zog er Balmung aus der Scheide. »Wer bist du?«, schrie er. »Zeig dich, du Feigling!«
Wieder meckerndes Gelächter, diesmal weiter links.
Mit einem Satz sprang der Junge auf das Geräusch zu, mitten in den Nebel hinein. Das Kichern wich ihm aus und klang dabei spöttischer als zuvor. Irgendjemand würde für diese Beleidigung zahlen! Sigfrid biss sich auf die Lippen. Mit seinem unüberlegten Sprung hatte er jede Orientierung verloren. Er rief nach seinem Pferd, erhielt jedoch keine Antwort.
Die Stille war wie eine Drohung. Immer dicker wurde der Nebel, Sigfrid konnte kaum die eigene Hand sehen. Lauernd drehte er sich um sich selbst, jeden Augenblick gewärtig, sich eines aus dem Nichts auftauchenden Gegners erwehren zu müssen. Der Armring an seinem Handgelenk begann zu pulsieren, und eine innere Stimme raunte ihm zu: Flieh! Lauf fort! Die Stimme hatte etwas Zwingendes, sie traf eine zum Zerreißen gespannte Sehne in seinem Bauch, die ihr nur allzu begierig zustimmen wollte. Fast hätte Sigfrid ihr nachgegeben. Aber er war Sigmunds Sohn, und er würde nicht Schande über sich und die Seinen bringen, indem er vor einer Gefahr davonlief.
Dann erhielt er den ersten Schlag in die Kniekehlen. Sigfrid stürzte und rollte sich instinktiv zur Seite. Zum Glück, denn wo er eben noch gelegen hatte, prallten mehrere Knüppel auf den Boden. Wie der Blitz war er auf den Beinen und sprang darauf zu, doch der Nebel hatte sie bereits in seinen schützenden Mantel gehüllt. Wieder erhielt er einen Schlag aus dem trüben Grau, aber diesmal war er vorbereitet. Er wirbelte herum und spaltete den Knüppel in zwei Teile.
Bislang war es ihm nicht gelungen, seine Gegner auch nur zu Gesicht zu bekommen. Sigfrid wandte sich abwechselnd nach dieser und jener Seite in der Hoffnung, einen seiner Peiniger zu überraschen. Es machte ihn wütend, dass seine Feinde mit ihm spielten, statt ihm in offenem Kampf gegenüberzutreten. Bring sie um! , forderte der Ring. Unvermittelt hagelte es von überall her Schläge, in einem schmerzhaften Tanz prasselten sie auf Rücken, Arme, Beine, Kopf. Sigfrid schäumte. Wenn er doch nur an sie herankäme! Es war, als sei er einem unsichtbaren Feind ausgeliefert.
Unsichtbar! Das war es! Man erzählte sich hinter vorgehaltener Hand, Schwarzalben besäßen Tarnkappen. Du hast keine Aussicht, gegen einen unsichtbaren Feind zu bestehen! Die Stimme forderte seinen Trotz heraus. Selbstverständlich hatte er das! Es bestand immer die Möglichkeit zu gewinnen, wenn man auf Wodan und seine eigene Kraft vertraute.
Ein Schmerz durchzuckte ihn. An seinem Schwertarm lief ein dünner Faden Blut herab. Die Zeit der Streiche schien vorbei. Jetzt ging es um sein Leben. Sigfrid überließ sich seinen Instinkten. Reglos, mit leicht gebeugtem Oberkörper stand er da und wartete ab, jeden Muskel in seinem Leib angespannt. Weder war ein Laut zu hören noch war etwas zu sehen, aber sein hugi verriet ihm, dass sich jemand von rechts näherte, und so schlug er unerwartet zu. Ein überraschter Aufschrei kündete von seinem Erfolg. Blutstropfen fielen auf den Boden. Ein Wimmern verzog sich in die Tiefen des Nebels und verlor sich dort.
Wieder verharrte Sigfrid bewegungslos. Lange Zeit geschah nichts. Ein paarmal glaubte er, etwas zu bemerken, aber jedes Mal schlug er ins Leere. Kein Gelächter begleitete seinen Irrtum. Dies war kein Spiel mehr, sondern tödlicher Ernst.
Sie kamen von allen Seiten. Ein sechster Sinn warnte ihn, und jetzt öffnete er sich willig der Stimme des Ringes, die ihm zu töten befahl. Eben noch in regloser Anspannung ließ er seinen Körper explodieren und fegte mit dem Schwert durch die ihn umgebende Luft. Er stieß auf Widerstand, Stahl, Holz, Haut. Schreie erfüllten den Nebel, aber Sigfrid hielt nicht inne. Balmung mähte nieder, was immer zwischen Anfang und Endpunkt der anmutigen Kurve stand, die
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